"linksgrün versifft"
Wer hat's erfunden?
von josch am 2019-07-22

Kennen Sie das? Ein Bekannter erzählt einem eine neue, spannende, vielleicht faszinierende Geschichte. Sie hängen an seinen Lippen, nicken eifrig, schütteln manchmal ungläubig den Kopf. Und ganz am Ende der Geschichte gibt er einem zu verstehen, das alles frei erfunden war. So etwas kommt immer wieder mal vor, denn als Zuhörer unterstellen wir erst einmal automatisch die Faktizität des Geschilderten. Zumindest solange wir keine anderen Hinweise erhalten. Aber ein einziger Hinweis kann unser Verständnis des Erzählten rückwirkend verändern, teilweise sogar in sein Gegenteil verkehren. Wie bei einer Kippfigur. Ein solcher Hinweis kann in einem plumpen "War alles nur ein Witz" bestehen oder auch nur in einem einvernehmlichen Zwinkern.

Jörg Meuthen hat der BILD am Sonntag ein Interview gegeben. In diesem Interview erklärt er, die AfD sei eine Rechtsstaatspartei, die sich glaubwürdig gegen alle extremistischen Tendenzen abgrenze. Zudem sei er sich sicher, dass Doris von Sayn-Wittgenstein, AfD-Vorsitzende von Schleswig-Holstein, aus der Partei ausgeschlossen werde. Alles prima also. Aber ganz am Schluss, da sagt er etwas, das zu denken gibt.

Er sei stolz darauf, den Begriff (er meint wohl das Wort) "Links-grün versifft" geprägt zu haben. Beim AfD-Programmparteitag in Stuttgart nämlich habe er zunächst vom "links-rot-grün verseuchten 68er-Deutschland" gesprochen. Nachdem das anwesende Parteivolk darauf begeistert reagiert habe, habe er nachgelegt: "Man könnte auch sagen: links-rot-grün versifft." Und erneut habe es donnernden Applaus gegeben. Eine schöne Geschichte, der wir fasziniert lauschen.

Aber dann halten wir inne. Der AfD-Parteitage war 2016, genauer am 30. April 2016. Sollte Meuthen wirklich derjenige gewesen sein, der jenen Ausdruck, der das Leiden der ziemlich weit Rechten an vermeintlicher linker Heuchelei und Scheinheiligkeit so optimal verdichtet, spontan geprägt hat, indem er "links-rot-grünes 68er-Deutschland" durch "links-(rot)-grün" ersetzt und "verseucht" mit "versifft" euphemistisch paraphrasiert hat? Haben wir den Ausdruck nicht schon früher gehört oder gelesen?

Im Netz wird tatsächlich einem anderen, für seine Invektiven Berüchtigten der Verdienst der Neuprägung des Ausdrucks "linksgrün versifft" zugeschrieben: Akif Pirinçci. So kommentiert Leserin Claudia am 30. Juli 2018 auf seinem Blog "Der kleine Akif" anlässlich einer Vorladung Pirinçcis zu einer Ermittlungssache wegen Volksverhetzung:

Es tut mir Leid, dass Sie - der Sie sich unschätzbare Verdienste erworben haben, schon allein als Sprachschöpfer ("Linksgrünversifft" ist und bleibt genial) - ständig diesem Terror ausgesetzt sind.

Und tatsächlich finden sich in Pirinçcis Texten und denen seiner (rechts)geneigten Kommentatoren zahlreiche Belege vor dem vermeintlichen Meuthen'schen Schöpfungsdatum im April 2016. Auch in dem Pamphlet "Deutschland von Sinnen", das im März 2014 erschien, schreibt Pirinçci vom "linksgrün versifften Staatsfunk" in Bremen. Allerdings findet sich bei Pirinçci häufiger die Variante "grün-linksversifft". Ist also Pirinçci Erfinder des "geflügelten Wortes"?

Eine kurze Recherche beim Diskursatlas Antifeminismus zeigt, dass der Ausdruck "linksgrün versifft" zumindest Vorläufer hatte. So sind "linksversifft" und "rotversifft" beispielsweise schon 2011 bei "Politically Incorrect" (pi-news.net) belegt.

Den ersten belegt für "lingsgrün versifft", für das Wirtschafts-FH-Professor Meuthen via BILD die Urheberschaft beansprucht, habe ich in einem Finanzblog gefunden, das sich noch vor der AfD den Themen Euro- und Islamkritik verschrieben hatte und eifrig Verschwörungstheorien verbreitete, nämlich auf dem deutsch-österreichischen Portal hartgeld.com, in dem redaktionelle Inhalte und als Leserzuschriften ausgewiesene Texte erscheinen. Am 29. Dezember 2012 wurde hier eine solche anonymisierte Leserzuschrift publiziert, in der sich der Satz findet:

"Ich habe vorletzte Woche einen Gerichtsprozeß in linksgrünversifften Hamburg [sic!] gewonnen".

Weil der Satz ohne die für Neuprägungen typische Metakommunikation auskommt, ist davon auszugehen, dass es sich für den Autor bei "linksgrün versifft" schon 2012 um einen gut eingeführten Audruck handelte.

Woher kannte Meuthen den Ausruck, als er im April 2016 an ein Stuttgarter Rednerpult trat? Hatte er Pirinçci gelesen, dann aber die Lektüre verdrängt, als dieser sogar bei PEGIDA in Ungnade gefallen war? Oder hatte der Wirtschafts-FH-Professor sich früher schon auf dem Portal "Hartgeld" informiert? Wir wissen es nicht und es ist müßig darüber zu spekulieren. Sicher ist: Erfinder des Ausdrucks ist er nicht.

Zeigt sich in Meuthens Anspruch, der Erfinder von "linksgrün versifft" zu sein, das Bemühen eines AfD-Vorsitzenden, der die Abwahl beim nächsten Parteitag fürchtet, sich mangels politischer Erfolge zumindest einen Platz in der Sprachgeschichte zu sichern und sich so unsterblich zu machen? Oder will uns Meuthen mit der offensichtlich Falschheit seiner Aussage am Ende des BILD-Interviews etwas über den Wahrheitsgehalt des restlichen Inhalts sagen? Ist es ein verschmitztes Augenzwinkern des AfD-Vorsitzenden, das uns verraten soll, dass alles nicht so ernst gemeint war?

Kategorie: Gesellschaft, Linguistik; Keywords: AfD, "linksgrün versifft"

AfD für uneingeschränkte Meinungsfreiheit - außer für die Dresdner Morgenpost
Performative Selbstwidersprüche
von josch am 2018-09-30

Immer wenn wir sprechen, sagen wir nicht nur Dinge über die Welt aus. Wir handeln. Bisweilen tritt das, was wir auf der Sachebene sagen, in Widerspruch zu der Handlung, die aus unserer Äußerung ableitbar ist. Das nennt man einen performativen Selbstwiderspruch.

Die AfD Sachsen beendet "die mediale Zusammenarbeit" mit der Dresdner Morgenpost und der Online-Plattform Tag 24. Der "sächsische Generalsekretär der AfD, Jan Zwerg" (oder richtig: der Generalsekretär der AfD Sachsen) konkretisiert die Maßnahmen: "Presseanfragen werden nicht mehr beantwortet, es wird keine Einladungen zu Pressekonferenzen mehr geben, die Redaktion wird aus dem Presseverteiler der Landespartei entfernt. Über die Teilnahme an sächsischen AfD-Parteitagen wird – dieses Medium betreffend – künftig die Mitgliedschaft explizit zur Abstimmung aufgerufen."

Zwerg versäumt aber nicht zu betonen: "Die AfD ist eine rechtsstaatliche Partei, die für uneingeschränkte Meinungsfreiheit einsteht. Linkslastiger Nanny- und Sensationsjournalismus gehören allerdings nicht dazu."

Das Wort "Pressefreiheit" ist ein Mirandum, ein Wort, das in jedem Kontext eine positive Bedeutung hat. Kein Demokrat kann gegen Pressefreiheit sein. Personen oder Gruppierungen, die zur Autokratie neigen, sich aber gerne als lupenreine Demokraten geben, bleibt nichts anderes übrig, als "Presse" nicht formal sondern inhaltlich-normativ zu definieren, um gegen jene vorgehen zu können, die nach der eigenen Definition keine Presse mehr sind: Nur wer in einem bestimmten Sinn berichtet, ist Presse und genießt Pressefreiheit, alle anderen nicht. Solche Begründungen erzeugen performative Selbstwidersprüche. Dies ist eine lose Serie zu performativen Selbstwidersprüchen.

Kategorie: Performative Selbstwidersprüche; Keywords: AfD, Pressefreiheit