Lann Hornscheidt über Diskriminierung, Hate Speech und Pejorisierung
Versuch einer Zusammenfassung (bis 2014)
von josch am 2019-08-06

Lann Hornscheidt verortet die Möglichkeit diskriminierenden Sprechens in einem Dispositiv transdependenter Machtverhältnisse, das strukturelle Diskriminierung hervorbringt. Diskriminierung ist entsprechend nicht nur ein Akt persönlicher Intentionen und Verletzbarkeiten, sondern vor allem konstituierendes Merkmal sozialer Strukturen. Hornscheidts Theorie geht auch insofern über andere Theorien hinaus, als sie auch Entsprachlichung als konstituierendes Moment der Diskriminierung systematisch integriert.

Sprachtheoretische Verortung

Sprache ist ein fait social, der durch Gebrauch hergestellt und reproduziert wird. Auch wenn bestimmte sprachliche Formen als Sprachsystem quasi naturalisiert und als dem Sprachgebrauch vorgängig gedacht und kodifiziert werden (insbesondere die Grammatik, aber auch andere Bereiche des "Sprachsystems"), handelt es sich doch lediglich um ein in einer Gesellschaft gültiges und durch hegemoniale Diskurse als verbindlich bestimmtes Sprach(regel)wissen. Sprachliche Formen haben für Hornscheidt den Charakter normierender Äußerungsformationen, die ihre Wirkungen dadurch entfalten, dass ihre korrekte Realisierung als Bedingung für gelingende Kommunikation gilt. Diese sprachlichen Formen transportieren auch Vorstellungen darüber, welche Arten der Subjektivierung überhaupt möglich sind. Sie sind damit auch eine Bedingung für Diskriminierung. (Vgl. Hornscheidt 2013: 28f)

Ein Beispiel: Wer Deutsch korrekt sprechen will, muss mit morphologischen und lexikalischen Mitteln das Genus markieren. Bei der Benennung von Personen führt dies dazu, dass diese in eine binäre Geschlechterordnung eingepasst werden.

Weiter teilt Hornscheid die Auffassung Austins, dass eine Trennung in deskriptive und performative Akte nicht möglich ist. Jede sprachliche Äußerung hat performative Dimensionen, auch wenn sie an der sprachlichen Oberfläche deskriptiv daherkommt.

Personale Appelation

Statt wie in der Linguistik meist üblich von "Personenreferenz" zu sprechen, favorisiert Hornscheidt den Begriff der personalen Appelation. Er betont einerseits den Prozesscharakter, andererseits geht er auch über die traditionelle Bedeutung von "Referenz" hinaus, die aus Sicht Hornscheidts "die Auffassung einer objekthaften Vorgängigkeit der Welt vor der sprachlichen Benennung [tradiert und reproduziert]." (Hornscheidt 2006: 52) Personale Appelation ist vielmehr ein Akt der Zuschreibung und Kategorisierung. Das Subjekt ist nicht bloß Ausgangspunkt und Ziel sprachlicher Handlungen, sondern "immer auch eine diskursive Position, die als solche schon vor dem konkretisierten Subjekt 'da' war" (Hornscheidt 2006: 66).

In Verbindung mit der Auffassung, dass Sprechen immer auch performativ ist, bedeutet dies, dass Subjektivierung nicht nur durch explizite Referenzfixierungen, Benennungsfestlegungen und okkasionelle Referenzregelungen (Wimmer 1979) erfolgen, sondern durch jeden Sprachgebrauch erfolgen (Hornscheidt 2006: 71). Unter dem Terminus "personale Appelation" versteht Hornscheidt daher auch Sprachhandlungen, "die nicht direkt an Personen gerichtet sind oder Personen benennen, sondern über die auch indirekt personenbezogene Konzeptualisierungen aufgerufen werden." (Hornscheidt 2013: 30)

Beispiel: in der Metaphorisierung "der Vergleich hinkt" wird eine Form von Behinderung mit einer negativen Wertung verbunden (denn der Vergleich wird als defizient beschrieben); die Metapher transportiert daher eine Pejorisierung, die auf Menschen mit Behinderung zurückwirkt.

Diskriminierung und strukturelle Machtpositionen

Es dürfte klar sein, dass Hornscheidt die Idee verwirft, "dass Personen oder Personengruppen Eigenschaften diskursiv vorgängig 'haben', auf Grund derer sie in einem weiteren Schritt [...] sprachlich diskriminiert werden." (Hornscheidt 2013: 31) Der postsouveräne Subjektbegriff impliziert auch, dass Diskriminierung nicht als ausschließlich individuelle Handlung aufgefasst werden kann, zu der die Intention, ein anderes Subjekt oder eine Gruppe negativ zu bewerten, hinzutreten muss. Vielmehr sind die soziale Kontextualisierung und die situative Einbettung der Sprachhandlungen zentrale Konstituenten von Diskriminierungshandlungen. Der soziale Kontext besteht in den strukturellen Machtpositionen der an einer Kommunikation Beteiligten. Macht wird vor allem als die Möglichkeit, Normalitätsvorstellungen zu generieren, aufgefasst und korreliert mit der Verteilung von Ressourcen, seien es symbolische oder materielle.

Diskursive Diskriminierungen sind demnach durch ein Dispositiv gerahmt, das die Möglichkeitsbedingungen für diese Formen diskursiver Diskriminierungen bereitstellt. Entsprechend skeptisch äußert sich Hornscheidt über Äußerungsvorbote oder Quotenregelungen: "Strukturelle dispositive transdependente Machtverhältnisse konstituieren Wahrnehmungen, bilden die Basis für die Verhandlung von Benachteiligungen und Bevorteiligungen, sind dynamisch in ihrer Realisierung und so grundlegend für hegemoniale Selbstverständnisse und Selbstvergewisserungen, dass sie nicht 'schlicht' und 'einfach' verändert, ausgelassen, umbenannt, beseitigt werden können." (Hornscheidt 2013: 48)

Diskriminierung

Für Hornscheidt sind Eigenschaften "sprachlich geschaffene Zu_Schreibungen zu Personen und Personengruppen", die dann diskriminierende Effekte haben können, "wenn über sie Generalisierungen, Universalisierungen, Bewertungen hergestellt werden, die als genau vorgängig und kollektiv begründbar (über Bevölkerungsgruppen, Genderzuschreibungen, Rassifizierungen, Bildungshintergrundzuschreibungen und vielem mehr) realisiert werden." (Hornscheidt 2013: 31)

Personale Appellationen und andere konventionalisierte Sprachpraktiken realisieren solche Generalisierungen und transportieren Normalitätsvorstellungen; sie tragen und reproduzieren aus der Perspektive von Hornscheidt damit strukturelle Diskriminierung.

Wegnennungen: Entnennung und Enterwähnung

Mit "Entnennung" ("EntNennung") bezeichnet Hornscheidt die Praxis, das Verfügen über die Hervorbringung und Anwendung privilegierter Normen nicht explizit zu machen. Dadurch würden die Normen generalisiert, ohne dass die Normautoritäten diese begründent müssten und als solche sichtbar würden.

Mit "Enterwähnung" ("Ent_Erwähnung") bezeichnet Hornscheidt das sprachliche Auslassen von deprivilegierten Personengruppen und sieht darin eine aktive, potentiell diskriminierende Handlung" (Hornscheidt 2013: 33).

Beides fasst Hornscheidt unter dem Begriff der Wegnennung ("Weg_Nennung") zusammen, die sie als "machtvolle sprachliche Handlungen zur Schaffung von Normalisierungen bzw. Normalitätsvorstellungen" markiert.

Benennungen

Weg_Nennungen, das will die Schreibweise verdeutlichen, sind auch Nennungen, aktive Sprachhandlungen. "Mit diesem neuen Konzept gibt es keine neutrale oder unschuldige Position in Bezug auf die potentielle rassistische WirkMächtigkeit sprachlicher Handlungen" (Hornscheidt 2013: 33). Man kann Hornscheidt so lesen, dass explizite Benennungspraktiken ("BeNennungen") immerhin transdependente Machtverhältnisse sichtbar machen und einen analytischen Zugriff ermöglichen.

Sprachgebrauch

Hornscheidt verwendet den dynamischen Unterstrich: "Durch diese Form des Unterstrichs, der durch die personale Appellationsform wandert, wird Zweigeschlechtlichkeit als Norm infrage gestellt und gleichzeitig kein festverorteter oder klar lokalisierbarer Bruch schriftsprachlich umgesetzt. Unterstriche in anderen Wörtern als personalen Appellationsformen signalisieren mögliche Brüche und Leerstellen in Vorstellungen zu Konzepten." (Hornscheidt 2012: 28f)

Literatur

  • Hornscheidt, Lann (2006): Die sprachliche Benennung von Personen aus konstruktivistischer Sicht. Genderspezifizierung und ihre diskursive Verhandlung im heutigen Schwedisch. Berlin / New York: de Gruyter. (Linguistik - Impulse und Tendenzen 15)
  • Nduka-Agwu, Adibeli / Antje Lann Hornscheidt (2010): Rassismus auf gut Deutsch: Ein kritisches Nachschlagewerk zu rassistischen Sprachhandlungen. Frankfurt a. M.: Brandes und Apsel.
  • Hornscheidt, Antje Lann (Hrsg.) (2011): Schimpfwörter - Beschimpfungen - Pejorisierungen. Wie in Sprache Macht und Identitäten verhandelt werden. Mit Beiträgen von Antje Lann Hornscheidt, Hanna Acke, Gisa Marehn, Ines Jana, Jana Eder. Mit CD-ROM. Frankfurt a. M.: Brandes und Apsel.
  • Hornscheidt, Lann (2013): Der Hate Speech-Diskurs als Hate Speech: Pejorisierung als konstruktivistisches Modell zur Analyse diskriminierender Sprach_handlungen. In: Meibauer, Jörg (Hrsg.): Hate Speech/Hassrede. Interdisziplinäre Beiträge des gleichnamigen Workshops, Mainz 2009. Linguistische Untersuchungen. Gießener elektronische Bibliothek. 29-58. Online: http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2013/9251/pdf/HassredeMeibauer_2013.pdf
  • Hornscheidt, Lann (2014): entkomplexisierung von diskriminierungsstrukturen durch intersektionalität. Online: http://portal-intersektionalitaet.de/theoriebildung/schluesseltexte/hornscheidt/

Kategorie: Linguistik, Definitionen; Keywords: Lann Hornscheidt, Diskriminierung, Hassrede, Hate Speech

Beleidigung, Üble Nachrede und Verleumdung
Ehrdelikte im Strafgesetzbuch
von josch am 2016-10-29

Neben der Volksverhetzung, unter die Phänomene von Hassrede subsummiert werden, kennt das Strafgesetzbuch Ehrdelikte. Das StGB regelt den Umgang mit sog. Beleidigungsdelikten in Abschnitt 14, der die Paragraphen 185-200 umfasst. Das zu schützende Rechtsgut ist dabei die Ehre. Allerdings gibt das StGB selbst keine Definition von "Ehre" und die Vorstellungen darüber, was Ehre ist, differieren erheblich.

1. Der Begriff der Ehre

Grundsätzlich lassen sich ein normativer (ethischer und juristischer) Ehrbegriff und ein faktisch-sozialer Ehrbegriff unterscheiden (Rühl 2002: 201). Der faktisch-soziale Ehrbegriff meint das Ansehen in den Augen anderer, das Prestige einer Person, ihren "guten Ruf". Die Ehre, die Personen zukommt, unterscheidet sich in dieser Semantik also von Person zu Person je nach dem, welche Anerkennung ihr zuteil wird. Ehre ist entsprechend ein Distinktionsphänomen. Der normative Ehrbegriff ist unabhängig davon, welche Anerkennung einer Person tatsächlich von ihren Mitmenschen zuteil wird. Er ist ein Anspruch auf Achtung unabhängig vom Status einer Person. Dieser Anspruch kann erfüllt oder missachtet werden.

Der normative Ehrbegriff scheint zunächst prädistiniert, als Grundlage einer rechtlichen Fassung von Achtungsansprüchen zu gelten, weil er auf die abstrakte Person referiert, die im Sinne einer Gleichheit vor dem Gesetz immer schon als Rechtssubjekt vorausgesetzt wird. Diese Deutung wird in jüngster Zeit freilich herausgefordert durch eine Sicht auf Gleichheit, die die Anerkennung von Minderheiten in ihren spezifischen Unterschieden als Ermöglichungsbedingung von Gleichheit sieht (Rühl 2002: 206). Diese Argumentation zielt auf den Schutz vor Diskriminierung, der erst durch die Anerkennung von Achtungsansprüchen des Andersseins erreicht werden könne. Die Forderung nach einer Anerkennung der Differenz referiert aber auf den faktisch-sozialen und nicht auf den normativen Ehrbegriff. Das schützenswere Rechtsgut der Ehre kann entsprechend nicht nur als Quelle für Normen im Bereich der Beleidigung und Herabwürdigung, sondern auch der Diskriminierung und Hassrede dienen.

2. Wer kann Objekt einer Beleidigung sein?

Objekt einer Beleidigung ist der Träger der Ehre. Dies können natürliche Personen (a), Personengemeinschaften (b) oder alle Angehörigen einer Gruppe (c) sein.

a. Grundsätzlich können alle natürliche Personen beleidigt werden, dies umfasst selbstverständlich auch Kinder und Menschen mit kognitiven oder psychischen Einschränkungen. Verstorbene hingegen sind nicht beleidigungsfähig.

b. Personenverbindungen wird eine Kollektivehre zugestanden, die ebenfalls verletzt werden kann. Unter einer Personenverbindung wird dabei ein Kollektiv verstanden, das eine rechtlich anerkannte Funktion hat und in der Lage ist, einen einheitlichen Willen zu bilden. Darunter fallen Behörden, politische Körperschaften, Stellen der öffentlichen Verwaltung und kirchliche Einrichtungen. Begründet wird die sog. Verbandsehre, aus der die Beleidigungsfähigkeit abgeleietet wird, damit, dass ein Wirken der Personengesamtheit nur dann möglich ist, wenn ihre Tätigkeit nicht diskreditiert wird. So gilt die Bundeswehr als Ganze als beleidigungsfähig, die Polizei jedoch nicht, weil in ihr keine einheitliche Willensbildung stattfindet. Ebenso zählen Familien nicht zu den Personenverbindungen mit verletzbarer Kollektivehre.

c. Von einer Sammelbeleidigung spricht man dann, wenn nicht die Gemeinschaft als solche, sondern jedes einzelne Mitglied Gegenstand einer Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung ist. Bedingung hierfür ist, dass sich die bezeichnete Personengruppe hinreichend klar von anderen Teilen der Bevölkerung abgrenzen lässt. Das heißt, dass Frauen, Alte, Kinder, Journalisten oder Muslime nicht sammelbeleidigungsfähig sind; Soldaten der Bundeswehr hingegen werden als eine klar abgrenzbare Gemeinschaft angesehen.

3. Wann liegt ein Äußerungsdelikt vor und wann nicht?

Damit eine Beleidigung vorliegt muss sie so geäußert werden, dass die Äußerung Kundgabecharakter hat. Das bedeutet, dass sie vor dem Beleidigten selbst oder vor Dritten geäußert werden muss. Schließlich muss die Äußerung vom Empfänger auch als ehrenrührig verstanden werden. Ehrverletzungen Dritter bleiben allerdings im engsten Familienkreis straflos, nicht jedoch die Verleumdung.

Wird eine ehrverletzende Äußerung an den Beleidigten selbst adressiert, liegt immer der Straftatbestand der Beleidigung vor (§ 185). Bei einer Kundgabe gegenüber Dritten ist zwischen Werturteilen (§ 185) und Tatsachenbehauptungen (§ 186, § 187) zu unterscheiden. Tatsachen sind beobachtbar und daher auch verifizierbar bzw. widerlegbar. Bei Werturteilen handelt es sich um die Kundgabe einer subjektiven Meinung. Problematisch daran ist freilich, dass Tatsachenbehauptungen und Werturteile nicht getrennt werden können (denken wir an Austins Kritik am Sein/Sollen-Fetisch). Im Einzelfall muss daher abgewogen werden, ob bei einer Tatsachenbehauptung die konnotative und deontische Komponente überwiegt und damit eher ein Werturteil vorliegt oder ob die Darstellung einer Tatsache die Hauptabsicht einer Äußerung war.

4. Beleidigung

Eine Beleidigung ist eine Äußerung mit der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung zum Ausdruck gebracht wird und die dadurch ehrverletzend wirken kann. Zuschreibung negativ bewerteter Eigenschaften, Attestierung von vermeintlichen Unzulänglichkeiten oder eine Bezeichnung als minderwertige Person sind typische Formen der Missachtung und Geringschätzung, die nicht nur sprachlich sondern auch durch andere Zeichensysteme realisiert werden kann.

Bei der Entscheidung, ob es sich um eine Äußerung ehrverletzenden Inhalts handelt, muss berücksichtigt werden, wie das unmittelbare Umfeld (die "beteiligten Kreise") die Äußerung bewertet, in welcher örtlichen und zeitlichen Situation eine Äußerung erfolgte, welche sprachlichen Mittel dabei zum Einsatz kamen und inwieweit diese Mittel so konventionalisiert sind, dass aus ihnen ein interubjektiv nachvollziehbarer "objektiver" Sinn ermittelt werden kann.

Damit eine Beleidigung im Sinn des § 185 StGB vorliegt, ist ein Vorsatz erforderlich, jedoch keine besondere Kränkungsabsicht. Das Handeln im Bewusstsein, dass eine Äußerung geeignet ist, die Ehre einer anderen Person zu verletzen, ist entsprechend ein hinreichendes Kriterium. Auch muss die Äußerung vorsätzlich erfolgen. Erlangt der Beleidigte Kenntnis von einer herabwürdigenden Äußerung, weil er beispielsweise das Tagebuch einer Person liest, so ist der Tatbestand der Beleidigung nicht erfüllt.

Nicht unter den Straftatbestand der Beleidigung fallen Unhöflichkeit und Taktlosigkeiten, aber auch Belästigungen, Scherze und Neckereien.

5. Üble Nachrede

Behauptet man Dinge, die man nicht man nicht beweisen kann, die aber zugleich geeignet sind, das Objekt der Äußerung verächtlich zu machen oder in den Augen anderer herabzuwürdigen, dann betreibt man üble Nachrede. "Behaupten" bedeutet, dass man etwas als richtig oder wahr darstellt, von dem man selbst überzeugt ist, dass es richtig oder wahr ist. Auch die Weiterverbreitung einer solchen Äußerungen kann den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen. Die eigene Überzeugung vom Wahrheitsgehalt der nicht beweisbaren Äußerung ist der entscheidende Unterschied zur Verleumdung. Die Äußerung muss nicht dem Objekt der Äußerung selbst gegenüber geäußert werden, sondern auch Äußerungen gegenüber Dritten können den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen.

Die sprachlichen Formen sind nicht auf den Aussagesatz beschränkt. Auch rhetorische Fragen, das Aussprechen von Vermutungen oder das Äußern eines Verdachts können als üble Nachrede interpretiert werden.

6. Verleumdung

Die Verleumdung ist ein Äußern oder Verbreiten von Aussagen, die unwahr sind und die von dem Äußernden wider besseres Wissen verbreitet werden und geeignet sind, das Objekt der Aussage herabzuwürdigen oder in den Augen der Öffentlichkeit verächtlich zu machen. Dabei muss erkennbar sein, wer den als Tatsache geäußerten Sachverhalt geäußert hat.

Literatur

  • Hirsch, Hans Joachim (1998): Grundfragen von Ehre und Beleidigung. In: Rainer Zaczyk, Michael Köhler, Michael Kahlo (Hrsg.): Festschrift für E. A. Wolff. Berlin, Heidelberg: Springer. S. 125-151.
  • Küpper, Georg (2007): Strafrecht Besonderer Teil 1. Delikte gegen Rechtsgüter der Person und Gemeinschaft. Dritte, aktualisierte und ergänzte Auflage. Berlin, Heidelberg: Springer.
  • Rühl, Ulli F. H. (2002): Die Semantik der Ehre im Rechtsdiskurs. In: Kritische Justiz, Jg. 35 (2002), H. 2, S. 197-212.

Kategorie: Recht, Definitionen; Keywords: Ehre, Beleidigung, Üble Nachrede, Verleumdung

Sprachliche Formen von Hassrede und Beleidigung
Ein Überblick
von josch am 2018-02-28

Die herabwürdigende Kraft sprachlicher Handlungen liegt nicht in den Wörtern selbst, sondern in den Konstellationen, Kontexten und Anschlusskommunikationen, in denen diese Wörter geäußert werden. Dennoch gibt es sprachliche Formen, die besonders häufig in invektiven Kontexten verwendet werden. Die Sprachwissenschaft hat sprachliche Muster und Äußerungstypen identifiziert, die besonders häufig in Situationen Verwendung finden, in denen die Handlungen der Beleidigung, der Herabwürdigung oder der Marginalisierung realisiert werden.

Die vollständigste Darstellung einer Pragmasemantik herabwürdigenden Sprechens hat Anja Lobenstein-Reichmann in ihrem Buch „Sprachliche Ausgrenzung im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit“ (2013) vorgelegt. Sie reichen von Bezeichnungshandlungen bis hin zu Textsorten und sollen im Folgenden von den kleinsten sprachlichen Einheit ausgehend referiert werden.

Wort und Proposition

So kann die einfache Referenzhandlung bereits als herabwürdigend gedeutet werden, nämlich dann, wenn das Nomen proprium oder das Nomen appelativum, das zur Bezeichnung einer Person oder Gruppe benutzt wird, als implizite Kurzform einer bewertenden Prädikation verstanden werden kann. Beispielsweise wurde der Ausdruck Zigeuner in der Geschichte des Deutschen zwar lange als Name eines Volkes benutzt, hatte aber zugleich einen stark negativ wertende Bedeutungsdimension (vgl. Lobenstein-Reichmann 2013: 33). Was am Extrembeispiel der Bezeichnung Zigeuner illustriert wurde, gilt aber allgemein für jede Referenzhandlung: Eine neutrale Beschreibung der Welt ist nicht möglich, jede Bezugnahme auf Welt enthält wertende Dimensionen (vgl. Quine 1951, Austin 1962: 150).

Positionierungen können auch mittels Vergleich und Metapher vorgenommen werden. Während Vergleiche den referenzierten Gegenstand mit einem anderen Gegenstandsbereich explizit durch die Partikel wie verknüpfen, geschieht dies bei Metaphern implizit, häufig mit den syntaktischen Formen etwas ist etwas, jemand nennt etw. etw. (doppelter Akkusativ) / bezeichnet etwas als etwas (vgl. Lobenstein-Reichmann 2013: 40). Metaphern und Vergleiche transportieren Wertungen, indem bestimmte Eigenschaften vom Vergleichsgegenstand auf den referenzierten Gegenstand übertragen werden. Eine Beispiel für die Verwendung einer Metapher, die zur Verurteilung wegen Volksverhetzung geführt hat, ist die Bezeichnung von Flüchtlingen als Viehzeug durch PEGIDA-Chef Lutz Bachmann. Das Beispiel ist insofern typisch für Metaphern, die eine herabsetzende Wirkung entfalten können, als diese häufig aus den Bildbereichen Tier, Krankheit, Katastrophe und Kriminalität entlehnt sind (vgl. Lobenstein-Reichmann 2013: 43).

Auch Wortbildungen haben das Potenzial, Positionierungen eine negative Bedeutungsdimension zu geben. So können beispielsweise durch Ableitungen mit den Diminutivsuffixen /lein/ und /ling/ (Emporkömmling, Eindringling, Fremdling) oder durch die Präfixe /un/ (Unkraut, Unmensch) oder /unter/ (Untermensch, Untermenschentum) Negativierungen erzeugt werden (vgl. Lobenstein-Reichmann 2013: 46). Auch einzelne Bestandteile von Komposita können dazu führen, dass die in ihnen realisierten negativen semantischen Merkmale dem Kompositum eine negative Bedeutung geben. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden Komposita mit dem Determinatum /Jude/ (Sowjetjude, Reformjude, Zentrumsjude, Musterjude, Edeljude) sowie das Wort Jude selbst „zum Schimpfwort schlechthin“ (Schlosser 2013: 21f). Heute führt das Determinans /Nazi/ dazu, dass die mit ihm gebildeten Komposita eine negative Bewertung des bezeichneten Sachverhalts, Gegenstandes oder der bezeichneten Person transportieren und zwar ganz unabhängig davon, ob das Wort einen Sachverhalt aus dem historischen Nationalsozialismus bezeichnet oder nicht (Nazizeitung, Nazisprache, Nazidichter, Nazi-Treff, Nazi-Bau, Nazi-Freund, Nazi-Justiz).

Eine explizite Form der sprachlichen Herabsetzung, die von Laien oft als prototypische Form der Beleidigung aufgefasst wird, ist die Verwendung von Schimpfwörtern. Schimpfwörter „bringen eine negative Bewertung zum Ausdruck. Zusätzlich zu ihrem deskriptiven Bedeutungsanteil besitzen sie eine differenzierte expressive Bedeutung […].“ (Löbner 2003: 46) Die herabwürdigende Kraft von Schimpfwörtern ergibt sich freilich nicht aus ihrer Wortgestalt, sondern aus ihrer Verwendung im Kontext von Schimpf- und Herabsetzungshandlungen. Die von der Malediktologie zusammengestellten Schimpfwörterbücher (vgl. etwa Kappeller / Voigt 1964, Pfeiffer 1997) sind daher interessante Quellen, funktional orientierte Untersuchungen wie von Sornig (1975) und Scheffler (2000) tragen jedoch mehr zum Verständnis vom Beitrag von Schimpfwörtern zu Positionierungshandlungen bei. Fatma Oztürk Dağabakan versteht unter dem Determinatum Schimpfen die verbale Äußerung von Aggression, mit der Absicht zu beleidigen (vgl. Dağabakan 2012: 82). Steffen K. Hermann und Hannes Kuch sehen Schimpfen und Fluchen als explizite Missachtungsformeln (vgl. Hermann, Kuch 2007: 17), bei denen Schimpfwörter zum Einsatz kommen. Schimpfwörter sind in dieser Perspektive Ausdrücke mit idiomatischer Prägung (Feilke 1996), die sich ihrer Verwendung in typisierten kommunikativen Kontexten und Situationen mit konventionalisierten pragmatischen Funktionen verdankt. Spottnamen und anredende Schimpfwörter sind nach Lobenstein-Reichmann (2013: 52) „entweder einwortige illokutionäre oder kontextuell eingebettete Sprechakte, die dazu dienen zu beleidigen, zu schmähen oder auszugrenzen.“

Neben diesen lexikalischen Mitteln können explizite Prädikationshandlungen dazu genutzt werden, Positionierungen mit pejorativem Effekt zu bewirken. Prädikation bezeichnet die Zuschreibung von Eigenschaften. Prädikationen können insbesondere dann herabwürdigende, marginalisierende oder ausgrenzende Effekte haben, wenn sie Bezug auf Normalitätsvorstellungen nehmen und der präzidierten Person oder Gruppe implizit oder explizit eine Abweichung von der Norm zuschreiben. Sie glücken um so eher, je stärker die Aussagen von einem normalistischen Dispositiv (Link 1997) mitgeformt werden, weil sie dann als selbstverständlicher Teil des Wissens einer Gesellschaft gelten und damit unhinterfragbar sind. Grundsätzlich lassen sich prädikative und attributive Prädikationshandlungen unterscheiden. Prädikative Bewertungshandlungen können beispielsweise über Sätze mit einem Prädikativum und der Kopula sein realisiert (vgl. Lobenstein-Reichmann 2013: 71) werden. In Sätzen wie „Du bist ein Idiot!“ wird der Angesprochene kategorisiert und zugleich bewertet. Bei der attributiven Bewertungshandlung werden „zwei semantische Informationen zueinander in Beziehung [gesetzt]. Aus dem Nebeneinander wird ein Miteinander, da die semantischen Merkmale der Einzelausdrücke aggregativ miteinander verwoben werden. In der Regel entsteht auf diese Weise semantisch Neues. Bei Adjektivattributen wird das zu bestimmende Substantiv durch den Inhalt des Adjektivs näher spezifiziert.“ (Lobenstein-Reichmann 2013: 75) So setzt die Beleidigung „schwule Sau“ dehumanisierendes Schimpfwort und vermeintliche sexuelle Perversion miteinander in Beziehung. Attributive Prädikationshandlungen können aber auch zur Gradierung benutzt werden (vgl. Lobenstein-Reichmann 2013: 77), das heißt zur Codierung des Überzeugungsgrads oder der emotionalen Involviertheit des Sprechers hinsichtlich des Gehalts des substantivischen Ausdrucks („verdammter Lügner“).

Sprachliche Muster auf der satzsemantischen Ebene

Auf der satzsemantischen Ebene identifiziert Lobenstein-Reichmann den kollektiven Singular, die Aufzählung und die implizite Prädikation als sprachliche Mittel, mit denen pejorisierende Positionierungen vorgenommen werden können.

Mit dem kollektiven Singular, ganz gleich ob in Verwendung mit bestimmtem oder unbestimmtem Artikel, wird hinsichtlich einer Gruppe die Existenz eines Idealtypus insinuiert, der sich bestimmten typischen Eigenschaften der Gruppenangehörigen verdankt. Durch die Bezeichnung mit dem kollektiven Singular werden die bezeichneten Personen dann als Angehörige einer Gruppe mit den für diese Gruppe vermeintlich konstitutiven Eigenschaften klassifiziert. Pejorisierend wirkt der kollektive Singular insbesondere dann, wenn die vermeintlich konstitutiven Eigenschaften negativ bewertet werden (vgl. Lobenstein-Reichmann 2013: 80.) Als Beispiel für eine Abwertung durch den Gebrauch des kollektiven Singulars kann ein auf faz.net erschienener Artikel über die Personenkontrollen im Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht 2016/2017 dienen, der schon in der Überschrift mit einem Kollektivsingularen operiert: „Sehr populistische Fragen an den Nafri, Politik und Polizei nach Köln“. Die negative Bedeutung der Klassenbezeichnung „Nafri“ wird (unter anderem) durch die in eine Frage verkleidete Zuschreibung einer negativen Eigenschaft deutlich: „Warum geht von Dir und Deinen Freunden ‚Grundaggressivität‘ aus?“ (Man beachte die Du-Anrede.)

Die Aufzählung kann dann dazu beitragen, dass positionierende Bezeichnungen eine negativ wertende Bedeutung bekommen, wenn die immer gleichen Elemente miteinander so oft in Beziehung gesetzt werden, dass sie als festes sprachliches Muster wahrgenommen werden. In der Aufzählung werden die einzelnen Glieder zwar als distinkt dargestellt, zugleich aber unter einem bestimmten Gesichtspunkt als Teil eines Gemeinsamen subsummiert, „semantisch unter einem bestimmten, ihnen allen gemeinsamen Aspekt gefasst“ werden (Lobenstein-Reichmann 2013: 83). Auch wenn das Gemeinsame nicht explizit genannt wird, wird es doch von kompetenten Hörern erschlossen. Wird dieses Gemeinsame negativ bewertet, erfolgt eine abwertende Positionierung der bezeichneten Gruppen wie beispielsweise in der Aufzählung Juden, Kapitalisten und Bolschewisten, die von Nationalsozialisten häufig benutzt wurde, um den vermeintlichen jüdischen Bolschewismus zu referenzieren. „Bisher Eigenständiges erfährt eine Semantisierung als Gruppe, durch die es neu negativ beeigenschaftet wird.“ (Lobenstein-Reichmann 2013: 84)

Ähnlich wie die Aufzählung ohne explizite Nennung einer negativen Eigenschaft zu pejorativen Positionierungen führen kann, so können allgemein durch Präsuppositionen implizite Prädikationen gemacht werden, durch die die referenzierten Personen oder Gruppen abwertend positioniert werden. Präsuppositionen sind das für das Verständnis einer Aussage notwendige, aber stillschweigend vorausgesetzte Wissen. In Aussagen der Identitären Bewegung wie „Wir lassen uns nicht austauschen!“ ist das Ideologem, nach dem die Regierung der Bundesrepublik daran arbeitet, auf Geheiß der USA und anderer Mächte die autochthone Bevölkerung durch Migranten zwecks Ausmerzung des Deutschtums zu ersetzen, als Wissen vorausgesetzt. Neben solchen konstruktionellen Präsuppositionen können auch einzelne Lexeme ganze Wissensbereiche aufrufen, ohne sie zu explizieren (vgl. Lobenstein-Reichmann 2013: 90). So setzt das Lexem Umvolkung die Existenz eines homogenen Volkes voraus, dessen Existenz dadurch bedroht ist, dass es durch ein anderes Volk ersetzt wird, und dass dieser Prozess der Ersetzung bereits in Gang ist. Präsuppositionen nutzen demnach Normalitätsvorstellungen als Positionierungsressource und erscheinen deshalb besonders plausibel und unmittelbar evident.

Weitere Muster

Über die hier referierten Mittel hinaus existieren weitere musterhafte sprachliche Formen, die häufig Verwendung finden, wenn negative Positionierungen vorgenommen werden. Dazu zählen auch Textsorten wie der Fluch (vgl. Lobenstein-Reichmann 2013: 126-137), die Invektive oder der Rant, kommunikative Gattungen wie die Wutrede (Meier 2016), aber auch Formen der Nichtthematisierung wie der Namensentzug und die Tabuisierung (vgl. Lobenstein-Reichmann 2013: 65).

Literatur

  • Austin, John L. (1962): How to do things with words. The William James Lectures delivered at Harvard University 1955. Oxford: Calrendon Press.
  • Dağabakan, Fatma Oztürk (2012): Die Fluchwörter und Verwünschungen im Deutschen und im Türkischen. In: Zeitschrift für die Welt der Türken, Heft 4, S. 79-98.
  • Feilke, Helmuth (1996): Sprache als soziale Gestalt. Ausdruck, Prägung und die Ordnung der sprachlichen Typik. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Herrmann, Steffen Kitty / Kuch, Hannes (2007): Verletzende Worte. Eine Einleitung. Herrmann, Steffen Kitty / Krämer, Sybille / Kuch, Hannes (Hrsg.): Verletzende Worte. Die Grammatik sprachlicher Missachtung. Bielefeld: transcript.
  • Kapeller, Ludwig / Voigt, Helmut (1964): Das Schimpfbuch. Von Amtsschimmel bis Zimtziege. Herrenalb/ Schwarzwald: Erdmann.
  • Link, Jürgen (1997): Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
  • Lobenstein-Reichmann, Anja (2013): Sprachliche Ausgrenzung im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Berlin / Boston: de Gruyter.
  • Löbner, Sebastian (2003): Semantik. Berlin, New York: De Gruyter.
  • Meier, Simon (2016): Wutreden – Konstruktion einer Gattung in den digitalen Medien. In: ZGL 44(1): 37-68.
  • Pfeiffer, Herbert (1997): Das große Schimpfwörterbuch. Über 10000 Schimpf-, Spott- und Neckwörter zur Bezeichnung von Personen. Frankfurt am Main: Eichborn.
  • Scheffler, Gabriele (2000): Schimpfwörter im Themenvorrat einer Gesellschaft. Marburg: Tectum.
  • Schlosser, Horst Dieter (2013): Sprache unterm Hakenkreuz. Eine andere Geschichte des Nationalsozialismus. Köln, Weimar, Wien: Böhlau.
  • Sornig, Karl (1975): Beschimpfungen, in: Grazer Linguistische Studien, Heft 1, S. 150-170.
  • Quine, Willard Van Orman (1951): Two Dogams of Empiricism. In: The Philosophical Review 60, S. 20-34.

Kategorie: Linguistik, Definitionen; Keywords: Hassrede, Hate Speech, Beleidigung, Herabwürdigung, sprachliche Muster