Lann Hornscheidt über Diskriminierung, Hate Speech und Pejorisierung
Versuch einer Zusammenfassung (bis 2014)
von josch am 2019-08-06

Lann Hornscheidt verortet die Möglichkeit diskriminierenden Sprechens in einem Dispositiv transdependenter Machtverhältnisse, das strukturelle Diskriminierung hervorbringt. Diskriminierung ist entsprechend nicht nur ein Akt persönlicher Intentionen und Verletzbarkeiten, sondern vor allem konstituierendes Merkmal sozialer Strukturen. Hornscheidts Theorie geht auch insofern über andere Theorien hinaus, als sie auch Entsprachlichung als konstituierendes Moment der Diskriminierung systematisch integriert.

Sprachtheoretische Verortung

Sprache ist ein fait social, der durch Gebrauch hergestellt und reproduziert wird. Auch wenn bestimmte sprachliche Formen als Sprachsystem quasi naturalisiert und als dem Sprachgebrauch vorgängig gedacht und kodifiziert werden (insbesondere die Grammatik, aber auch andere Bereiche des "Sprachsystems"), handelt es sich doch lediglich um ein in einer Gesellschaft gültiges und durch hegemoniale Diskurse als verbindlich bestimmtes Sprach(regel)wissen. Sprachliche Formen haben für Hornscheidt den Charakter normierender Äußerungsformationen, die ihre Wirkungen dadurch entfalten, dass ihre korrekte Realisierung als Bedingung für gelingende Kommunikation gilt. Diese sprachlichen Formen transportieren auch Vorstellungen darüber, welche Arten der Subjektivierung überhaupt möglich sind. Sie sind damit auch eine Bedingung für Diskriminierung. (Vgl. Hornscheidt 2013: 28f)

Ein Beispiel: Wer Deutsch korrekt sprechen will, muss mit morphologischen und lexikalischen Mitteln das Genus markieren. Bei der Benennung von Personen führt dies dazu, dass diese in eine binäre Geschlechterordnung eingepasst werden.

Weiter teilt Hornscheid die Auffassung Austins, dass eine Trennung in deskriptive und performative Akte nicht möglich ist. Jede sprachliche Äußerung hat performative Dimensionen, auch wenn sie an der sprachlichen Oberfläche deskriptiv daherkommt.

Personale Appelation

Statt wie in der Linguistik meist üblich von "Personenreferenz" zu sprechen, favorisiert Hornscheidt den Begriff der personalen Appelation. Er betont einerseits den Prozesscharakter, andererseits geht er auch über die traditionelle Bedeutung von "Referenz" hinaus, die aus Sicht Hornscheidts "die Auffassung einer objekthaften Vorgängigkeit der Welt vor der sprachlichen Benennung [tradiert und reproduziert]." (Hornscheidt 2006: 52) Personale Appelation ist vielmehr ein Akt der Zuschreibung und Kategorisierung. Das Subjekt ist nicht bloß Ausgangspunkt und Ziel sprachlicher Handlungen, sondern "immer auch eine diskursive Position, die als solche schon vor dem konkretisierten Subjekt 'da' war" (Hornscheidt 2006: 66).

In Verbindung mit der Auffassung, dass Sprechen immer auch performativ ist, bedeutet dies, dass Subjektivierung nicht nur durch explizite Referenzfixierungen, Benennungsfestlegungen und okkasionelle Referenzregelungen (Wimmer 1979) erfolgen, sondern durch jeden Sprachgebrauch erfolgen (Hornscheidt 2006: 71). Unter dem Terminus "personale Appelation" versteht Hornscheidt daher auch Sprachhandlungen, "die nicht direkt an Personen gerichtet sind oder Personen benennen, sondern über die auch indirekt personenbezogene Konzeptualisierungen aufgerufen werden." (Hornscheidt 2013: 30)

Beispiel: in der Metaphorisierung "der Vergleich hinkt" wird eine Form von Behinderung mit einer negativen Wertung verbunden (denn der Vergleich wird als defizient beschrieben); die Metapher transportiert daher eine Pejorisierung, die auf Menschen mit Behinderung zurückwirkt.

Diskriminierung und strukturelle Machtpositionen

Es dürfte klar sein, dass Hornscheidt die Idee verwirft, "dass Personen oder Personengruppen Eigenschaften diskursiv vorgängig 'haben', auf Grund derer sie in einem weiteren Schritt [...] sprachlich diskriminiert werden." (Hornscheidt 2013: 31) Der postsouveräne Subjektbegriff impliziert auch, dass Diskriminierung nicht als ausschließlich individuelle Handlung aufgefasst werden kann, zu der die Intention, ein anderes Subjekt oder eine Gruppe negativ zu bewerten, hinzutreten muss. Vielmehr sind die soziale Kontextualisierung und die situative Einbettung der Sprachhandlungen zentrale Konstituenten von Diskriminierungshandlungen. Der soziale Kontext besteht in den strukturellen Machtpositionen der an einer Kommunikation Beteiligten. Macht wird vor allem als die Möglichkeit, Normalitätsvorstellungen zu generieren, aufgefasst und korreliert mit der Verteilung von Ressourcen, seien es symbolische oder materielle.

Diskursive Diskriminierungen sind demnach durch ein Dispositiv gerahmt, das die Möglichkeitsbedingungen für diese Formen diskursiver Diskriminierungen bereitstellt. Entsprechend skeptisch äußert sich Hornscheidt über Äußerungsvorbote oder Quotenregelungen: "Strukturelle dispositive transdependente Machtverhältnisse konstituieren Wahrnehmungen, bilden die Basis für die Verhandlung von Benachteiligungen und Bevorteiligungen, sind dynamisch in ihrer Realisierung und so grundlegend für hegemoniale Selbstverständnisse und Selbstvergewisserungen, dass sie nicht 'schlicht' und 'einfach' verändert, ausgelassen, umbenannt, beseitigt werden können." (Hornscheidt 2013: 48)

Diskriminierung

Für Hornscheidt sind Eigenschaften "sprachlich geschaffene Zu_Schreibungen zu Personen und Personengruppen", die dann diskriminierende Effekte haben können, "wenn über sie Generalisierungen, Universalisierungen, Bewertungen hergestellt werden, die als genau vorgängig und kollektiv begründbar (über Bevölkerungsgruppen, Genderzuschreibungen, Rassifizierungen, Bildungshintergrundzuschreibungen und vielem mehr) realisiert werden." (Hornscheidt 2013: 31)

Personale Appellationen und andere konventionalisierte Sprachpraktiken realisieren solche Generalisierungen und transportieren Normalitätsvorstellungen; sie tragen und reproduzieren aus der Perspektive von Hornscheidt damit strukturelle Diskriminierung.

Wegnennungen: Entnennung und Enterwähnung

Mit "Entnennung" ("EntNennung") bezeichnet Hornscheidt die Praxis, das Verfügen über die Hervorbringung und Anwendung privilegierter Normen nicht explizit zu machen. Dadurch würden die Normen generalisiert, ohne dass die Normautoritäten diese begründent müssten und als solche sichtbar würden.

Mit "Enterwähnung" ("Ent_Erwähnung") bezeichnet Hornscheidt das sprachliche Auslassen von deprivilegierten Personengruppen und sieht darin eine aktive, potentiell diskriminierende Handlung" (Hornscheidt 2013: 33).

Beides fasst Hornscheidt unter dem Begriff der Wegnennung ("Weg_Nennung") zusammen, die sie als "machtvolle sprachliche Handlungen zur Schaffung von Normalisierungen bzw. Normalitätsvorstellungen" markiert.

Benennungen

Weg_Nennungen, das will die Schreibweise verdeutlichen, sind auch Nennungen, aktive Sprachhandlungen. "Mit diesem neuen Konzept gibt es keine neutrale oder unschuldige Position in Bezug auf die potentielle rassistische WirkMächtigkeit sprachlicher Handlungen" (Hornscheidt 2013: 33). Man kann Hornscheidt so lesen, dass explizite Benennungspraktiken ("BeNennungen") immerhin transdependente Machtverhältnisse sichtbar machen und einen analytischen Zugriff ermöglichen.

Sprachgebrauch

Hornscheidt verwendet den dynamischen Unterstrich: "Durch diese Form des Unterstrichs, der durch die personale Appellationsform wandert, wird Zweigeschlechtlichkeit als Norm infrage gestellt und gleichzeitig kein festverorteter oder klar lokalisierbarer Bruch schriftsprachlich umgesetzt. Unterstriche in anderen Wörtern als personalen Appellationsformen signalisieren mögliche Brüche und Leerstellen in Vorstellungen zu Konzepten." (Hornscheidt 2012: 28f)

Literatur

  • Hornscheidt, Lann (2006): Die sprachliche Benennung von Personen aus konstruktivistischer Sicht. Genderspezifizierung und ihre diskursive Verhandlung im heutigen Schwedisch. Berlin / New York: de Gruyter. (Linguistik - Impulse und Tendenzen 15)
  • Nduka-Agwu, Adibeli / Antje Lann Hornscheidt (2010): Rassismus auf gut Deutsch: Ein kritisches Nachschlagewerk zu rassistischen Sprachhandlungen. Frankfurt a. M.: Brandes und Apsel.
  • Hornscheidt, Antje Lann (Hrsg.) (2011): Schimpfwörter - Beschimpfungen - Pejorisierungen. Wie in Sprache Macht und Identitäten verhandelt werden. Mit Beiträgen von Antje Lann Hornscheidt, Hanna Acke, Gisa Marehn, Ines Jana, Jana Eder. Mit CD-ROM. Frankfurt a. M.: Brandes und Apsel.
  • Hornscheidt, Lann (2013): Der Hate Speech-Diskurs als Hate Speech: Pejorisierung als konstruktivistisches Modell zur Analyse diskriminierender Sprach_handlungen. In: Meibauer, Jörg (Hrsg.): Hate Speech/Hassrede. Interdisziplinäre Beiträge des gleichnamigen Workshops, Mainz 2009. Linguistische Untersuchungen. Gießener elektronische Bibliothek. 29-58. Online: http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2013/9251/pdf/HassredeMeibauer_2013.pdf
  • Hornscheidt, Lann (2014): entkomplexisierung von diskriminierungsstrukturen durch intersektionalität. Online: http://portal-intersektionalitaet.de/theoriebildung/schluesseltexte/hornscheidt/

Kategorie: Linguistik, Definitionen; Keywords: Lann Hornscheidt, Diskriminierung, Hassrede, Hate Speech

"linksgrün versifft"
Wer hat's erfunden?
von josch am 2019-07-22

Kennen Sie das? Ein Bekannter erzählt einem eine neue, spannende, vielleicht faszinierende Geschichte. Sie hängen an seinen Lippen, nicken eifrig, schütteln manchmal ungläubig den Kopf. Und ganz am Ende der Geschichte gibt er einem zu verstehen, das alles frei erfunden war. So etwas kommt immer wieder mal vor, denn als Zuhörer unterstellen wir erst einmal automatisch die Faktizität des Geschilderten. Zumindest solange wir keine anderen Hinweise erhalten. Aber ein einziger Hinweis kann unser Verständnis des Erzählten rückwirkend verändern, teilweise sogar in sein Gegenteil verkehren. Wie bei einer Kippfigur. Ein solcher Hinweis kann in einem plumpen "War alles nur ein Witz" bestehen oder auch nur in einem einvernehmlichen Zwinkern.

Jörg Meuthen hat der BILD am Sonntag ein Interview gegeben. In diesem Interview erklärt er, die AfD sei eine Rechtsstaatspartei, die sich glaubwürdig gegen alle extremistischen Tendenzen abgrenze. Zudem sei er sich sicher, dass Doris von Sayn-Wittgenstein, AfD-Vorsitzende von Schleswig-Holstein, aus der Partei ausgeschlossen werde. Alles prima also. Aber ganz am Schluss, da sagt er etwas, das zu denken gibt.

Er sei stolz darauf, den Begriff (er meint wohl das Wort) "Links-grün versifft" geprägt zu haben. Beim AfD-Programmparteitag in Stuttgart nämlich habe er zunächst vom "links-rot-grün verseuchten 68er-Deutschland" gesprochen. Nachdem das anwesende Parteivolk darauf begeistert reagiert habe, habe er nachgelegt: "Man könnte auch sagen: links-rot-grün versifft." Und erneut habe es donnernden Applaus gegeben. Eine schöne Geschichte, der wir fasziniert lauschen.

Aber dann halten wir inne. Der AfD-Parteitage war 2016, genauer am 30. April 2016. Sollte Meuthen wirklich derjenige gewesen sein, der jenen Ausdruck, der das Leiden der ziemlich weit Rechten an vermeintlicher linker Heuchelei und Scheinheiligkeit so optimal verdichtet, spontan geprägt hat, indem er "links-rot-grünes 68er-Deutschland" durch "links-(rot)-grün" ersetzt und "verseucht" mit "versifft" euphemistisch paraphrasiert hat? Haben wir den Ausdruck nicht schon früher gehört oder gelesen?

Im Netz wird tatsächlich einem anderen, für seine Invektiven Berüchtigten der Verdienst der Neuprägung des Ausdrucks "linksgrün versifft" zugeschrieben: Akif Pirinçci. So kommentiert Leserin Claudia am 30. Juli 2018 auf seinem Blog "Der kleine Akif" anlässlich einer Vorladung Pirinçcis zu einer Ermittlungssache wegen Volksverhetzung:

Es tut mir Leid, dass Sie - der Sie sich unschätzbare Verdienste erworben haben, schon allein als Sprachschöpfer ("Linksgrünversifft" ist und bleibt genial) - ständig diesem Terror ausgesetzt sind.

Und tatsächlich finden sich in Pirinçcis Texten und denen seiner (rechts)geneigten Kommentatoren zahlreiche Belege vor dem vermeintlichen Meuthen'schen Schöpfungsdatum im April 2016. Auch in dem Pamphlet "Deutschland von Sinnen", das im März 2014 erschien, schreibt Pirinçci vom "linksgrün versifften Staatsfunk" in Bremen. Allerdings findet sich bei Pirinçci häufiger die Variante "grün-linksversifft". Ist also Pirinçci Erfinder des "geflügelten Wortes"?

Eine kurze Recherche beim Diskursatlas Antifeminismus zeigt, dass der Ausdruck "linksgrün versifft" zumindest Vorläufer hatte. So sind "linksversifft" und "rotversifft" beispielsweise schon 2011 bei "Politically Incorrect" (pi-news.net) belegt.

Den ersten belegt für "lingsgrün versifft", für das Wirtschafts-FH-Professor Meuthen via BILD die Urheberschaft beansprucht, habe ich in einem Finanzblog gefunden, das sich noch vor der AfD den Themen Euro- und Islamkritik verschrieben hatte und eifrig Verschwörungstheorien verbreitete, nämlich auf dem deutsch-österreichischen Portal hartgeld.com, in dem redaktionelle Inhalte und als Leserzuschriften ausgewiesene Texte erscheinen. Am 29. Dezember 2012 wurde hier eine solche anonymisierte Leserzuschrift publiziert, in der sich der Satz findet:

"Ich habe vorletzte Woche einen Gerichtsprozeß in linksgrünversifften Hamburg [sic!] gewonnen".

Weil der Satz ohne die für Neuprägungen typische Metakommunikation auskommt, ist davon auszugehen, dass es sich für den Autor bei "linksgrün versifft" schon 2012 um einen gut eingeführten Audruck handelte.

Woher kannte Meuthen den Ausruck, als er im April 2016 an ein Stuttgarter Rednerpult trat? Hatte er Pirinçci gelesen, dann aber die Lektüre verdrängt, als dieser sogar bei PEGIDA in Ungnade gefallen war? Oder hatte der Wirtschafts-FH-Professor sich früher schon auf dem Portal "Hartgeld" informiert? Wir wissen es nicht und es ist müßig darüber zu spekulieren. Sicher ist: Erfinder des Ausdrucks ist er nicht.

Zeigt sich in Meuthens Anspruch, der Erfinder von "linksgrün versifft" zu sein, das Bemühen eines AfD-Vorsitzenden, der die Abwahl beim nächsten Parteitag fürchtet, sich mangels politischer Erfolge zumindest einen Platz in der Sprachgeschichte zu sichern und sich so unsterblich zu machen? Oder will uns Meuthen mit der offensichtlich Falschheit seiner Aussage am Ende des BILD-Interviews etwas über den Wahrheitsgehalt des restlichen Inhalts sagen? Ist es ein verschmitztes Augenzwinkern des AfD-Vorsitzenden, das uns verraten soll, dass alles nicht so ernst gemeint war?

Kategorie: Gesellschaft, Linguistik; Keywords: AfD, "linksgrün versifft"

Sprachliche Formen von Hassrede und Beleidigung
Ein Überblick
von josch am 2018-02-28

Die herabwürdigende Kraft sprachlicher Handlungen liegt nicht in den Wörtern selbst, sondern in den Konstellationen, Kontexten und Anschlusskommunikationen, in denen diese Wörter geäußert werden. Dennoch gibt es sprachliche Formen, die besonders häufig in invektiven Kontexten verwendet werden. Die Sprachwissenschaft hat sprachliche Muster und Äußerungstypen identifiziert, die besonders häufig in Situationen Verwendung finden, in denen die Handlungen der Beleidigung, der Herabwürdigung oder der Marginalisierung realisiert werden.

Die vollständigste Darstellung einer Pragmasemantik herabwürdigenden Sprechens hat Anja Lobenstein-Reichmann in ihrem Buch „Sprachliche Ausgrenzung im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit“ (2013) vorgelegt. Sie reichen von Bezeichnungshandlungen bis hin zu Textsorten und sollen im Folgenden von den kleinsten sprachlichen Einheit ausgehend referiert werden.

Wort und Proposition

So kann die einfache Referenzhandlung bereits als herabwürdigend gedeutet werden, nämlich dann, wenn das Nomen proprium oder das Nomen appelativum, das zur Bezeichnung einer Person oder Gruppe benutzt wird, als implizite Kurzform einer bewertenden Prädikation verstanden werden kann. Beispielsweise wurde der Ausdruck Zigeuner in der Geschichte des Deutschen zwar lange als Name eines Volkes benutzt, hatte aber zugleich einen stark negativ wertende Bedeutungsdimension (vgl. Lobenstein-Reichmann 2013: 33). Was am Extrembeispiel der Bezeichnung Zigeuner illustriert wurde, gilt aber allgemein für jede Referenzhandlung: Eine neutrale Beschreibung der Welt ist nicht möglich, jede Bezugnahme auf Welt enthält wertende Dimensionen (vgl. Quine 1951, Austin 1962: 150).

Positionierungen können auch mittels Vergleich und Metapher vorgenommen werden. Während Vergleiche den referenzierten Gegenstand mit einem anderen Gegenstandsbereich explizit durch die Partikel wie verknüpfen, geschieht dies bei Metaphern implizit, häufig mit den syntaktischen Formen etwas ist etwas, jemand nennt etw. etw. (doppelter Akkusativ) / bezeichnet etwas als etwas (vgl. Lobenstein-Reichmann 2013: 40). Metaphern und Vergleiche transportieren Wertungen, indem bestimmte Eigenschaften vom Vergleichsgegenstand auf den referenzierten Gegenstand übertragen werden. Eine Beispiel für die Verwendung einer Metapher, die zur Verurteilung wegen Volksverhetzung geführt hat, ist die Bezeichnung von Flüchtlingen als Viehzeug durch PEGIDA-Chef Lutz Bachmann. Das Beispiel ist insofern typisch für Metaphern, die eine herabsetzende Wirkung entfalten können, als diese häufig aus den Bildbereichen Tier, Krankheit, Katastrophe und Kriminalität entlehnt sind (vgl. Lobenstein-Reichmann 2013: 43).

Auch Wortbildungen haben das Potenzial, Positionierungen eine negative Bedeutungsdimension zu geben. So können beispielsweise durch Ableitungen mit den Diminutivsuffixen /lein/ und /ling/ (Emporkömmling, Eindringling, Fremdling) oder durch die Präfixe /un/ (Unkraut, Unmensch) oder /unter/ (Untermensch, Untermenschentum) Negativierungen erzeugt werden (vgl. Lobenstein-Reichmann 2013: 46). Auch einzelne Bestandteile von Komposita können dazu führen, dass die in ihnen realisierten negativen semantischen Merkmale dem Kompositum eine negative Bedeutung geben. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden Komposita mit dem Determinatum /Jude/ (Sowjetjude, Reformjude, Zentrumsjude, Musterjude, Edeljude) sowie das Wort Jude selbst „zum Schimpfwort schlechthin“ (Schlosser 2013: 21f). Heute führt das Determinans /Nazi/ dazu, dass die mit ihm gebildeten Komposita eine negative Bewertung des bezeichneten Sachverhalts, Gegenstandes oder der bezeichneten Person transportieren und zwar ganz unabhängig davon, ob das Wort einen Sachverhalt aus dem historischen Nationalsozialismus bezeichnet oder nicht (Nazizeitung, Nazisprache, Nazidichter, Nazi-Treff, Nazi-Bau, Nazi-Freund, Nazi-Justiz).

Eine explizite Form der sprachlichen Herabsetzung, die von Laien oft als prototypische Form der Beleidigung aufgefasst wird, ist die Verwendung von Schimpfwörtern. Schimpfwörter „bringen eine negative Bewertung zum Ausdruck. Zusätzlich zu ihrem deskriptiven Bedeutungsanteil besitzen sie eine differenzierte expressive Bedeutung […].“ (Löbner 2003: 46) Die herabwürdigende Kraft von Schimpfwörtern ergibt sich freilich nicht aus ihrer Wortgestalt, sondern aus ihrer Verwendung im Kontext von Schimpf- und Herabsetzungshandlungen. Die von der Malediktologie zusammengestellten Schimpfwörterbücher (vgl. etwa Kappeller / Voigt 1964, Pfeiffer 1997) sind daher interessante Quellen, funktional orientierte Untersuchungen wie von Sornig (1975) und Scheffler (2000) tragen jedoch mehr zum Verständnis vom Beitrag von Schimpfwörtern zu Positionierungshandlungen bei. Fatma Oztürk Dağabakan versteht unter dem Determinatum Schimpfen die verbale Äußerung von Aggression, mit der Absicht zu beleidigen (vgl. Dağabakan 2012: 82). Steffen K. Hermann und Hannes Kuch sehen Schimpfen und Fluchen als explizite Missachtungsformeln (vgl. Hermann, Kuch 2007: 17), bei denen Schimpfwörter zum Einsatz kommen. Schimpfwörter sind in dieser Perspektive Ausdrücke mit idiomatischer Prägung (Feilke 1996), die sich ihrer Verwendung in typisierten kommunikativen Kontexten und Situationen mit konventionalisierten pragmatischen Funktionen verdankt. Spottnamen und anredende Schimpfwörter sind nach Lobenstein-Reichmann (2013: 52) „entweder einwortige illokutionäre oder kontextuell eingebettete Sprechakte, die dazu dienen zu beleidigen, zu schmähen oder auszugrenzen.“

Neben diesen lexikalischen Mitteln können explizite Prädikationshandlungen dazu genutzt werden, Positionierungen mit pejorativem Effekt zu bewirken. Prädikation bezeichnet die Zuschreibung von Eigenschaften. Prädikationen können insbesondere dann herabwürdigende, marginalisierende oder ausgrenzende Effekte haben, wenn sie Bezug auf Normalitätsvorstellungen nehmen und der präzidierten Person oder Gruppe implizit oder explizit eine Abweichung von der Norm zuschreiben. Sie glücken um so eher, je stärker die Aussagen von einem normalistischen Dispositiv (Link 1997) mitgeformt werden, weil sie dann als selbstverständlicher Teil des Wissens einer Gesellschaft gelten und damit unhinterfragbar sind. Grundsätzlich lassen sich prädikative und attributive Prädikationshandlungen unterscheiden. Prädikative Bewertungshandlungen können beispielsweise über Sätze mit einem Prädikativum und der Kopula sein realisiert (vgl. Lobenstein-Reichmann 2013: 71) werden. In Sätzen wie „Du bist ein Idiot!“ wird der Angesprochene kategorisiert und zugleich bewertet. Bei der attributiven Bewertungshandlung werden „zwei semantische Informationen zueinander in Beziehung [gesetzt]. Aus dem Nebeneinander wird ein Miteinander, da die semantischen Merkmale der Einzelausdrücke aggregativ miteinander verwoben werden. In der Regel entsteht auf diese Weise semantisch Neues. Bei Adjektivattributen wird das zu bestimmende Substantiv durch den Inhalt des Adjektivs näher spezifiziert.“ (Lobenstein-Reichmann 2013: 75) So setzt die Beleidigung „schwule Sau“ dehumanisierendes Schimpfwort und vermeintliche sexuelle Perversion miteinander in Beziehung. Attributive Prädikationshandlungen können aber auch zur Gradierung benutzt werden (vgl. Lobenstein-Reichmann 2013: 77), das heißt zur Codierung des Überzeugungsgrads oder der emotionalen Involviertheit des Sprechers hinsichtlich des Gehalts des substantivischen Ausdrucks („verdammter Lügner“).

Sprachliche Muster auf der satzsemantischen Ebene

Auf der satzsemantischen Ebene identifiziert Lobenstein-Reichmann den kollektiven Singular, die Aufzählung und die implizite Prädikation als sprachliche Mittel, mit denen pejorisierende Positionierungen vorgenommen werden können.

Mit dem kollektiven Singular, ganz gleich ob in Verwendung mit bestimmtem oder unbestimmtem Artikel, wird hinsichtlich einer Gruppe die Existenz eines Idealtypus insinuiert, der sich bestimmten typischen Eigenschaften der Gruppenangehörigen verdankt. Durch die Bezeichnung mit dem kollektiven Singular werden die bezeichneten Personen dann als Angehörige einer Gruppe mit den für diese Gruppe vermeintlich konstitutiven Eigenschaften klassifiziert. Pejorisierend wirkt der kollektive Singular insbesondere dann, wenn die vermeintlich konstitutiven Eigenschaften negativ bewertet werden (vgl. Lobenstein-Reichmann 2013: 80.) Als Beispiel für eine Abwertung durch den Gebrauch des kollektiven Singulars kann ein auf faz.net erschienener Artikel über die Personenkontrollen im Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht 2016/2017 dienen, der schon in der Überschrift mit einem Kollektivsingularen operiert: „Sehr populistische Fragen an den Nafri, Politik und Polizei nach Köln“. Die negative Bedeutung der Klassenbezeichnung „Nafri“ wird (unter anderem) durch die in eine Frage verkleidete Zuschreibung einer negativen Eigenschaft deutlich: „Warum geht von Dir und Deinen Freunden ‚Grundaggressivität‘ aus?“ (Man beachte die Du-Anrede.)

Die Aufzählung kann dann dazu beitragen, dass positionierende Bezeichnungen eine negativ wertende Bedeutung bekommen, wenn die immer gleichen Elemente miteinander so oft in Beziehung gesetzt werden, dass sie als festes sprachliches Muster wahrgenommen werden. In der Aufzählung werden die einzelnen Glieder zwar als distinkt dargestellt, zugleich aber unter einem bestimmten Gesichtspunkt als Teil eines Gemeinsamen subsummiert, „semantisch unter einem bestimmten, ihnen allen gemeinsamen Aspekt gefasst“ werden (Lobenstein-Reichmann 2013: 83). Auch wenn das Gemeinsame nicht explizit genannt wird, wird es doch von kompetenten Hörern erschlossen. Wird dieses Gemeinsame negativ bewertet, erfolgt eine abwertende Positionierung der bezeichneten Gruppen wie beispielsweise in der Aufzählung Juden, Kapitalisten und Bolschewisten, die von Nationalsozialisten häufig benutzt wurde, um den vermeintlichen jüdischen Bolschewismus zu referenzieren. „Bisher Eigenständiges erfährt eine Semantisierung als Gruppe, durch die es neu negativ beeigenschaftet wird.“ (Lobenstein-Reichmann 2013: 84)

Ähnlich wie die Aufzählung ohne explizite Nennung einer negativen Eigenschaft zu pejorativen Positionierungen führen kann, so können allgemein durch Präsuppositionen implizite Prädikationen gemacht werden, durch die die referenzierten Personen oder Gruppen abwertend positioniert werden. Präsuppositionen sind das für das Verständnis einer Aussage notwendige, aber stillschweigend vorausgesetzte Wissen. In Aussagen der Identitären Bewegung wie „Wir lassen uns nicht austauschen!“ ist das Ideologem, nach dem die Regierung der Bundesrepublik daran arbeitet, auf Geheiß der USA und anderer Mächte die autochthone Bevölkerung durch Migranten zwecks Ausmerzung des Deutschtums zu ersetzen, als Wissen vorausgesetzt. Neben solchen konstruktionellen Präsuppositionen können auch einzelne Lexeme ganze Wissensbereiche aufrufen, ohne sie zu explizieren (vgl. Lobenstein-Reichmann 2013: 90). So setzt das Lexem Umvolkung die Existenz eines homogenen Volkes voraus, dessen Existenz dadurch bedroht ist, dass es durch ein anderes Volk ersetzt wird, und dass dieser Prozess der Ersetzung bereits in Gang ist. Präsuppositionen nutzen demnach Normalitätsvorstellungen als Positionierungsressource und erscheinen deshalb besonders plausibel und unmittelbar evident.

Weitere Muster

Über die hier referierten Mittel hinaus existieren weitere musterhafte sprachliche Formen, die häufig Verwendung finden, wenn negative Positionierungen vorgenommen werden. Dazu zählen auch Textsorten wie der Fluch (vgl. Lobenstein-Reichmann 2013: 126-137), die Invektive oder der Rant, kommunikative Gattungen wie die Wutrede (Meier 2016), aber auch Formen der Nichtthematisierung wie der Namensentzug und die Tabuisierung (vgl. Lobenstein-Reichmann 2013: 65).

Literatur

  • Austin, John L. (1962): How to do things with words. The William James Lectures delivered at Harvard University 1955. Oxford: Calrendon Press.
  • Dağabakan, Fatma Oztürk (2012): Die Fluchwörter und Verwünschungen im Deutschen und im Türkischen. In: Zeitschrift für die Welt der Türken, Heft 4, S. 79-98.
  • Feilke, Helmuth (1996): Sprache als soziale Gestalt. Ausdruck, Prägung und die Ordnung der sprachlichen Typik. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Herrmann, Steffen Kitty / Kuch, Hannes (2007): Verletzende Worte. Eine Einleitung. Herrmann, Steffen Kitty / Krämer, Sybille / Kuch, Hannes (Hrsg.): Verletzende Worte. Die Grammatik sprachlicher Missachtung. Bielefeld: transcript.
  • Kapeller, Ludwig / Voigt, Helmut (1964): Das Schimpfbuch. Von Amtsschimmel bis Zimtziege. Herrenalb/ Schwarzwald: Erdmann.
  • Link, Jürgen (1997): Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
  • Lobenstein-Reichmann, Anja (2013): Sprachliche Ausgrenzung im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Berlin / Boston: de Gruyter.
  • Löbner, Sebastian (2003): Semantik. Berlin, New York: De Gruyter.
  • Meier, Simon (2016): Wutreden – Konstruktion einer Gattung in den digitalen Medien. In: ZGL 44(1): 37-68.
  • Pfeiffer, Herbert (1997): Das große Schimpfwörterbuch. Über 10000 Schimpf-, Spott- und Neckwörter zur Bezeichnung von Personen. Frankfurt am Main: Eichborn.
  • Scheffler, Gabriele (2000): Schimpfwörter im Themenvorrat einer Gesellschaft. Marburg: Tectum.
  • Schlosser, Horst Dieter (2013): Sprache unterm Hakenkreuz. Eine andere Geschichte des Nationalsozialismus. Köln, Weimar, Wien: Böhlau.
  • Sornig, Karl (1975): Beschimpfungen, in: Grazer Linguistische Studien, Heft 1, S. 150-170.
  • Quine, Willard Van Orman (1951): Two Dogams of Empiricism. In: The Philosophical Review 60, S. 20-34.

Kategorie: Linguistik, Definitionen; Keywords: Hassrede, Hate Speech, Beleidigung, Herabwürdigung, sprachliche Muster