Friederike Werner von ZEIT Online hat mich eingeladen, mir ein Wissensquiz zu sprachlichen Strategien der Ausgrenzung und Herabsetzung auszudenken. Das habe ich sehr gerne gemacht. Hier finden sich Erläuterungen zu den Fragen und Antworten.
- mit ihr macht man wahre oder falsche Aussagen über die Welt
- Sprache ist ein Medium, in dem wir Wirklichkeit herstellen
- Sprache ist eine Menge von Wörtern und Verknüpfungsregeln
"Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort" - an solchen Sätzen sieht man, dass Sprache nicht nur dafür da ist, Dinge oder Sachverhalte zu beschreiben. Indem eine Person diesen Satz äußert, tut sie etwas. Sie setzt ihre Ehre dafür ein, Glaubwürdigkeit zu erlangen. Aber auch banale Sätze, die aussehen, als würden wir mit ihnen nur etwas beschrieben, sind gleichzeitig Handlungen. Wenn ich sage "Heute regnet es", dann kann das eine Aufforderung sein, einen Schirm mitzunehmen.
Wenn wir sprechen, dann beschreiben und handeln wir immer zugleich. Wenn eine Politikerin sagt: "Deutschland ist ein Einwanderungsland" dann ist das einerseits eine Beschreibung, andererseits aber auch eine sprachliche Konstruktion der Wirklichkeit, aus der sich beispielsweise Forderungen nach einem Einwanderungsgesetz ableiten lassen.
In der Politik geht es darum, Wirklichkeit im Medium der Sprache so zu konstruieren, dass das eigene politische Programm möglichst plausibel, ja zwingend erscheint.
- Die eigentliche Bedeutung steht im Wörterbuch.
- Nein. Die Bedeutung eines Wortes hängt vom Gebrauch ab.
- Ja. Die Bedeutung ergibt sich aus den Strukturen der Sprache.
Sprachphilosophie und Sprachwissenschaft sind sich heute einig, dass Sprache und Wirklichkeit nicht in einem ontologischen Verhältnis stehen. Sprache ist also nicht aus den Dingen motiviert und bildet nicht die Wirklichkeit ab. Es gibt daher auch keine richtige oder falsche Bedeutung eines Wortes. Vielmehr geht man davon aus, dass Wörter dadurch, dass sie immer wieder in ähnlichen Kontexten eingesetzt werden, typische Verwendungsweisen haben. Aus diesen Verwendungsweisen lassen sich dann Bedeutungsbeschreibungen ableiten. In der heutigen Lexikographie, also bei der Arbeit an Wörterbüchern, werden große Textkorpora benutzt, um solche typischen Verwendungsweisen zu identifizieren.
Wenn man ein Wort 'falsch' gebraucht, dann heißt das normalerweise, dass man es in den Augen der anderen Mitglieder einer Sprachgemeinschaft nicht so verwendet, wie es üblicherweise verwendet wird. Wenn Frauke Petry sagt, "völkisch" sei nur "ein zugehöriges Attribut" zum Wort "Volk", dann entspricht dies für die meisten Sprecherinnen und Sprecher nicht den Verwendungsweisen, die sie gewöhnt sind.
- provoziert Widerspruch und bleibt so im Gedächtnis haften
- konstruiert den Sachverhalt so, dass man dagegen sein muss
- stellt einen Sachverhalt objektiv richtig dar
Beim Wort "Überfremdung" sorgt der Präfix "über" dafür, dass der Sachverhalt schon per se als schädliches Zuviel konstruiert wird. Analog zu "überfordert", "überlastet", "überspannt", "überarbeitet" insinuiert der Ausdruck, dass zu viele Fremde im Land sind und dass dies schädlich ist. Selbstverständlich sind alle Parteien und mit ihnen auch die Bürgerinnen und Bürger gegen "Überregulierung", "Überreglementierung" und "Überschuldung". Ausdrücke mit "Über-" verdecken, dass es durchaus strittig sein kann, ob unsere Gesetze und Verordnungen unser Zusammenleben und Wirtschaften in sinnvoller Weise regulieren oder tatsächlich "überregulieren".
- das, wozu ein Wort auffordert
- die Bedeutung, die im Wörterbuch steht
- die Emotionen, die der Ausdruck transportiert
Die Sprache-in-der-Politik-Forschung unterscheidet drei Bedeutungsdimensionen: Den deskriptiven Bedeutungsaspekt, also die inhaltlichen Merkmale, die an einem Sachverhalt durch die Bezeichnung hervorgehoben werden, den deontischen Bedeutungsaspekt, die Bewertung die die Verwendung eines Ausdrucks transportiert und ihre normative Dimension, sowie den konnotativen Bedeutungsaspekt, also Assoziationen und Emotionen, die mit der Verwendung eines Ausdrucks verbunden sind.
- Die Flüchtlingskrise hat andere Ursachen als angenommen.
- Flüchtlinge sind eine Bedrohung. Wehrt euch gegen sie!
- Es sind Oxymora, die zum Nachdenken anregen sollen.
Die deontische Bedeutungsdimension dominiert bei den Ausdrücken "Migrationswaffe" und "Flüchtlingsinvasion", was sich den Metaphern aus dem Wortfeld Krieg verdankt.
- Dadurch, dass sie von Ulrike Meinhof gesagt wurde.
- Die radikale Verkürzung erzeugt Evidenz.
- Durch die normative Definition, was ein Mensch ist.
Man kann einen Begriff wie "Mensch" stark normativ aufladen. Man kann Sätze sagen wie "Nur wer erwachsen wird und Kind bleibt, ist ein Mensch". Wenn ich mir einem solchen Satz den Anspruch verknüpfe, ausnahmslos alle Referenzobjekte zu erfassen, dann schließen ich all jene sonst unter die Bezeichnung gefassten Referenzobjekte aus, die den normativen Ansprüchen nicht genügen. Reserviert man die Bezeichnung "Mensch" beispielsweise ausschließlich für jene, die sich nicht zu Knechten der von ihr verhassten Ordnung gemacht haben kann man problemlos alle anderen als "Typen" oder "Schweine" bezeichnen.
- CDU
- SPD
- Bündnis 90 / Die Grünen
- DIE LINKE
- AfD
- FDP
Die AfD thematisiert am häufigsten die Ausdrucks- oder Inhaltsseite von Bezeichnungen, indem sie sich durch Anführungszeichen von ihnen distanziert ("Flüchtling") oder ein "sogenannt" davorsetzt (sogeannter Experte). Das zeigt die folgende selbst durchgeführte Analyse zu Pressemitteilungen der Bundesparteien.
Auch in meiner Studie zum Sprachgebrauch der AfD während des Landtagswahlkamps in Rheinland-Pfalz haben sich diese Ergebnisse bestätigt.
- die 68er-Bewegung, die Schwulen- und Frauenbewegung
- die Grünen mit ihren Leitfäden zur gendergerechten Sprache
- die Neue Rechte, um sich gegen Kritik zu immunisieren
Die Begriffsgeschichte der "Politischen Korrektheit" in Deutschland habe ich in einem längeren Artikel auf diesem Blog dargestellt. Wer sich noch genauer informieren will, dem empfehle ich die dort genannte Forschungsliteratur. Christian Staas hat kürzlich in der ZEIT noch intensiver recherchiert.
- Überfremdung
- ausländerfrei
- Umvolkung
Die Unwörter des Jahres kann man in der Wikipedia am bequemsten Nachlesen. In der ersten Fassung des Quiz war noch "Negativzuwanderung" als Kandidat vorgesehen, was Unwort des Jahres in Österreich war und an den von der AfD neuerlich ins Spiel gebrachte Schlagwort der "Minuszuwanderung" erinnert.
- "Soldaten sind Mörder!"
- "Nordafrikaner strahlen eine Grundaggressivität aus!"
- "Arschlöchern wie dir sollte man die Fresse einschlagen!"
Die Antwort fällt leicht, wenn man die in der nächsten Frage genannten definitorischen Aspekte von "Hassrede" anwendet.
- der Äußernde empfindet Hass auf eine Gruppe von Menschen
- Personen werden als Vertreter einer Gruppe adressiert
- Personen werden negative Eigenschaften zugeschrieben
- Behauptung, negative Merkmale seien natürlich und universell
Im Unterschied zu anderen Formen der Hearbwürdigung liegt Hate Speech dann vor, wenn die Herabwürdigung ihre herabwürdigende Kraft daraus bezieht, dass eine Person als Vertreterin einer Gruppe adressiert wird und ihr negative Eigenschaften zugeschrieben werden, die dieser Gruppe vermeintlich kollektiv, universell und unveränderbar zukommen. Hassen müssen die Beleidiger ihre Adressatinnen und Adressaten nicht, obwohl sie es oft tun. Eine etwas ausführlichere Erklärung habe ich an anderer Stelle ins Blog geschrieben.
- Beleidigung
- Üble Nachrede
- Verleumdung
Behauptet man Dinge, die man nicht man nicht beweisen kann, die aber zugleich geeignet sind, das Objekt der Äußerung verächtlich zu machen oder in den Augen anderer herabzuwürdigen, dann betreibt man üble Nachrede. Die Verleumdung ist dagegen ein Äußern oder Verbreiten von Aussagen, die unwahr sind und die von dem Äußernden wider besseres Wissen verbreitet werden. Eine etwas ausführlichere Erklärung mit Literaturhinweisen findet sich auf dieser Seite.