Alle paar Jahre gibt es eine Neuauflage des Duden, in der sich ein paar tausend neuer Lemmata finden. Diese verdanken sich einerseits dem geänderten Sprachgebrauch, den die Dudenredaktion mit Hilfe großer Textdatenbanken untersucht. Sie verdanken sich andererseits verlegerischem Kalkül, denn jede neue Auflage macht frühere Auflagen zu veralteten Auflagen und gibt Büros, Schulen und Privatleute einen Grund zum Kauf der neuesten. Weil Änderungen des Wortschatzes immer auch als Anzeichen gesellschaftlicher und kultureller Veränderungen gedeutet werden können, stoßen die Neuauflagen auf öffentliches Interesse. Und die Medien machen gratis Werbung, indem sie über die "neuen Wörter" berichten.
In diesem Jahr trägt auch die AfD dazu bei, dass der Duden Verlag gratis Werbung für seine Neuauflage bekommt. Auf Facebook vermeldete die AfD-Fraktion:
Abgesehen von der fehlerhaften Kommasetzung, die den Erwerb des Duden für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landtagsfraktion vielleicht doch angezeigt erscheinen lässt, ist die Stellungnahme, die sich auf der Website der Landtagsfraktion in voller Länge findet, noch in anderer Hinsicht bemerksenswert. Denn im Text heißt es:
"... um aus einer Weltsicht Welt werden zu lassen." - Macht sich die AfD also endlich Theorien von der wirklichkeitsschaffenden Funktion von Sprache zu eigen? Ausgerechnet jene Theorien aus Poststrukturalismus und Konstruktivismus, die sie lange so vehement bekämpft hat? Oder vertritt sie etwa selbst jene Position, die sie - Bemühungen um mehr Sprachsensibilität lächerlich machend - ihren politischen Gegnerinnen und Gegnern unterstellt, dass nämlich der Sachverhalt mit der Verbannung des Wortes verschwindet? Dass es also Rechtsterrorismus nicht mehr gibt, wenn wir nicht mehr "rechtsterroristisch" sagen? Oder dass die Unmenge an Ladesäulen verschwindet, wenn erst das Wort "Ladesäule" aus dem deutschen Sprachschatz verbannt ist? Und dass es keine Hassrede und keine Diskriminierung mehr gibt, wenn man nicht mehr "Hatespeech" und "Alltagsrassismus" sagen kann?
Mehrere sprachwissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass die AfD die in bundesdeutschen Parlamenten vertetene Partei ist, die am häufigsten Kritik an der Sprache übt. Deutlich häufiger übrigens als die Grünen und auch mit bemerkenswertem Abstand zur Linken, denen die AfD selbst vorwirft, sich als Sprachpolizisten zu gerieren. Auch dafür, dass es einen Zusammenhang zwischen Sprachthematisierungen und politischem Extremismus gibt, finden sich empirische Belege. "Politische Korrektheit" jedenfalls, verstanden als Einschränkung des Gebrauchs sprachlicher Mittel aufgrund politischer Rücksichtnahmen, ist keineswegs ein bloß "linkes" Phänomen. Dafür liefert die Duden-Kritik der AfD einen weiteren Beleg.
- Scharloth, Joachim (2017): Ist die AfD eine populistische Partei? Eine Analyse am Beispiel des Landesverbandes Rheinland-Pfalz. In: Aptum, 1/2017, S. 1-15. preprint
- Bubenhofer, Noah / Joachim Scharloth (2014): Sprachthematisierungen: Ein korpuslinguistisch-frequenzorientierter Zugang. In: Aptum, 2/2014, S. 140-154. preprint
PS: Auch die Bezeichnung "Linguistiker" könnten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mal im Duden nachschlagen.