Die Maske als Maulkorb
Kritik an Corona-Maßnahmen als Medium fundamantaler Kritik der politischen Ordnung
von josch am 2022-01-17

Vor der Pandemie war Deutschland kein Land, in dem man Masken trug, zumindest nicht im täglichen Leben. Das eigene Gesicht gilt als Spiegel der Persönlichkeit, die Maske hingegen ist Symbol der Verkleidung oder raffiniertes Spiel mit der Identität. Kriminelle tragen Masken, um sich vor Identifizierung zu schützen. Der Slogan "Gesicht zeigen", die Metapher des offenen Visirs und das Vermummungsverbot auf Demonstrationen belegen, welchen Stellenwert dem unverhüllten Gesicht bei der politischen Willensbildung zukommt. Masken werden dagegen im Theater oder im Karneval getragen, wo die Realität oder die herrschende Ordnung vorübergehend außer Kraft gesetzt werden und die Menschen jemand anderes sein können. Masken wurden auch zur Bestrafung verwendet. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden Delinquenten – wie Ehebrecher und Verleumder – dazu verurteilt, eine Schandmaske zu tragen. Durch sie wurden Menschen auf ihr Verbrechen reduziert und sollten so aussehen, wie sie von der Gemeinschaft gesehen wurden.

Die medizinische Maske steht zwar für Hygiene, aber auch für das Risiko einer Ansteckung. Mit der COVID-19-Pandemie wurde sie im Alltag weit verbreitet, aber gleichzeitig auch Gegenstand verschiedener Zuschreibungen. Besonders in rechten Debatten ist die Maske mehr als ein Schutz vor Ansteckung und ein gesellschaftliches Mittel zur Eindämmung der Pandemie. Hier ist sie ein Politikum und wird zu einem symbolischen Schibboleth für eine ideologische Haltung stilisiert.

Angesichts der Proteste der sogenannten Querdenkerinnen und Querdenker stellt sich die Frage, ob die Mobilisierung das Ergebnis einer wachsenden Unzufriedenheit mit der Corona-Politik der Bundesregierung ist oder ob die Kritik an den politischen Maßnahmen nur als Vehikel benutzt wird, um – einer rechten Agenda folgend – das Vertrauen in das politische System der Bundesrepublik zu untergraben.

Ein Möglichkeit, sich einer Antwort auf diese Frage zu nähern, ist, den öffentlichen Diskurs über Masken einer genaueren Analyse zu unterziehen. Ausgangspunkt einer solchen Analyse können unterschiedliche Bezeichnungen für einen Gegenstand sein, denn jede Bezeichnung hebt am bezeichneten Sachverhalt bestimmte Aspekte hervor und lässt andere in den Hintergrund treten. Wer die Maske als "Infektionsschutz" bezeichnet, hebt ihren medizinischen Nutzen hervor, wer sie ein "Bazillentuch" nennt, zieht ihren hygienischen Nutzen in Zweifel und behauptet ihre Schädlichkeit. Diese unterschiedlichen Bezeichnungen konstruieren den Sachverhalt nicht nur auf unterschiedliche Weise, sie machen auch einen je spezifischen Umgang mit dem bezeichneten Objekt oder Sachverhalt plausibel. Einen Infektionsschutz trägt man, ein Bazillentuch meidet man.

Bezeichnungen für Sachverhalte sind in einer Gesellschaft oft entlang ideologischer Unterschiede umstritten. Eine Untersuchung, welche Bezeichnungen für Masken in rechten Debatten präferiert werden, kann daher auch bevorzugte Denkmuster und Handlungspräferenzen sichtbar machen. Die Distribution von Bezeichnungen, die Masken in einen politischen Kontext stellen, kann dann einen Hinweis darauf geben, in welchem Stadium der Pandemie die Maske politisiert wurde. Geschah dies erst allmählich, dann kann dies als Indiz für eine wachsende Unzufriedenheit mit der Corona-Politik der Regierung gedeutet werden. Wurde die Maske hingegen schon von Beginn an politisch aufgeladen, ist dies ein Indiz dafür, dass die Kritik an der Corona-Politik nur ein willkommenes Vehikel einer allgemeinen Regierungs- und Staatskritik ist.

Für meine Untersuchung habe ich ein Korpus aus zwei unterschiedlichen Quellen zusammengestellt: Zum einen sämtliche Texte von WELT Online von Januar 2020 bis Ende Juni 2021. Zum anderen alle Artikel der vom Bundesamt für Verfassungsschutz als erwiesen extremistisch eingeschätzten Plattform Politically Incorrect sowie alle dort erschienenen Userkommentare im gleichen Zeitraum.

Quelle Anzahl Texte Wortzahl
PI-News articles 3'800 2'059'521
PI-News comments 343'747 24'552'771
Welt Online 312'708 64'737'303

In einem ersten Schritt wurde eine möglichst große Vielfalt von Ausdrücken identifiziert, die Masken bezeichnen. Dies geschah zum einen durch das Studium zentraler Texte, zum anderen durch die gezielte Abfrage relevanter Lexeme, die in Zusammensetzungen zur Bildung von Bezeichnungen für Masken verwendet werden. Zu dieser Gruppe gehörten neben lexikalisierten Synonymen zum Lexem Maske und deren Komposita auch Ausdrücke, die sich auf die von Masken bedeckten Körperteile, die Ausscheidungen der Atmungsorgane sowie auf Stoffe, Kleidungsstücke und Materialien zur Bedeckung oder Verhüllung beziehen. Sammlung und Recherche förderten rund 360 unterschiedliche Lexeme zutage, von denen allerdings rund 120 keinen Bezug zu Schutzmasken hatten (z.B. Karnevalsmaske, Eingabemaske, Charaktermaske). Die 239 verbliebenen Ausdrücke wurden dann auf ihre zeitliche Distribution hin untersucht, wobei die Kalenderwochen als Zeiteinheit gewählt wurden.

Konjunkturen des Maskendiskurses

Betrachtet man die Distribution aller untersuchten Bezeichungen für Schutzmasken seit Beginn der Pandemie und vergleicht sie mit der Inzidenz, dann wird deutlich, dass die öffentliche Diskussion über Masken nicht durch das Pandemiegeschehen bestimmt ist. Die relativen Maxima der Verwendung Masken referenzierender Ausdrücke fallen dagegen in Wochen mit folgenden Ereignissen:

Frequenz Masken referenzierender Ausdrücke je 1 Mio Wörter und Inzidenz per 100.000 Einwohner (Sekundärachse)

Phase 1, Kalenderwochen 14 und 15, 2020: Erstes Maskenmandat in einer deutschen Stadt. Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina setzt sich für ein bundesweites Maskenmandat ein.
Phase 2, Kalenderwochen 17 und 18, 2020: RKI, Bundesregierung und Landesregierungen empfehlen das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes. Erstes Maskenmandat im Bundesland Sachsen. Das Tragen von Masken in öffentlichen Verkehrsmitteln und in Geschäften wird in ganz Deutschland Pflicht.
Phase 3, Kalenderwochen 35 und 36, 2020: Das Oberverwaltungsgericht Münster billigt die Maskenpflicht in Schulen. Größte Querdenken-Demonstration in Berlin mit exzessiven Verstößen gegen soziale Abstandsregeln und Maskenpflicht am 29. August.
Phase 4, Kalenderwoche 43 und 44, 2020: Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, sagt, dass das Tragen von Masken im öffentlichen Raum übertrieben wäre, wenn genügend Abstand eingehalten werden kann. Lockdown light wird verhängt.
Phase 5, Kalenderwoche 3, 2021: FFP2-Masken werden im öffentlichen Nahverkehr und in Einzelhandelsgeschäften zur Pflicht.
Phase 6, Kalenderwoche 10, 2021: Die Masken-Affäre wird bekannt. Mehrere Fälle von Vorteilsannahme im Zusammenhang mit der Beschaffung von Atemschutzmasken mehrerer Abgeordneter von CDU und CSU im Deutschen Bundestag und in den Landtagen werden bekannt.

Politisierung der Maske

Nun lassen sich die Ausdrücke für Maske semantisch kategorisieren, beispielsweise in solche, die die spezifische Funktion der Masken hervorheben (neben Maske sind die häufigsten Ausdrücke dieser Kategorie im Korpus Mundschutz, Schutzmaske, FFP2-Maske, Mund-Nasen-Schutz, Mund-Nasen-Bedeckung und Atemschutzmaske), solche, die den Warencharakter akzentuieren (Einmalmaske, Community-Maske, Wegwerfmaske, Massenmaske, Aldi-Maske, 50-Cent-Atemmaske), und solche, die ironisch den Nutzen der Maske in Zweifel ziehen oder der Maske überhaupt keinen medizinischen Nutzen, sondern eine politische Funktion zuschreiben (die häufigsten sind Maulkorb, Merkel-Maulkorb, Spuckschutz, Gesichtslappen, Maullappen, Rüsseltuch, Virenschleuder, Zwangsmaske).

Während in den Texten von Welt Online fast ausschließlich Bezeichnungen verwendet werden, die Funktion und Warencharakter der Maske hervorheben, beträgt der Anteil von maskenkritischen Ausdrücken in den Artikeln von PI-News und in den dortigen Userkommentaren im Durchschnitt rund 10%. Relevant für die Frage nach dem Zeitpunkt der Politisierung der Maske ist freilich, wann welche Arten von Masken referenzierenden Ausdrücken gebraucht wurden. Die folgende Grafik zeigt die Distribution der unterschiedlichen Kategorien von maskenbezogenen Ausdrücken in den Kommentaren von PI-News.

Frequenz Masken referenzierender Ausdrücke in den Kommentaren auf PI-News je 1 Mio Wörter. Frequenzen von Wörtern, die politisch motivierte Ablehnung ausdrücken oder die Maske als Ware referenzieren, beziehen sich auf die primäre y-Achse. Frequenzen von Ausdrücken, die Funktion und Material hervorheben, beziehen sich auf die Sekundärachse.

Sie belegt, dass in rechten Diskussionen Masken schon früh als nutzlos und schädlich konstruiert wurden. Die Diskussion um Masken nimmt hier mit dem ersten Lockdown, der am 16. März 2020 (KW 12) beschlossen wurde an Fahrt auf. Mit dem Inkrafttreten des Lockdown am 22. März (KW 13) und mit der Empfehlung einer Maskenpflicht durch die Leopoldina am 3. April 2020 (KW 14) erreicht sie ihren ersten Höhepunkt. Maskenkritische Bezeichnungen für Masken kommen nur wenige Wochen verzögert in Verwendung. Ein erstes Maximum ist in Kalenderwoche 19 zu beobachten. Sachsen hatte als erstes Bundesland am 17. April 2020 (KW 16) eine Maskenpflicht in Geschäften und im Nahverkehr erlassen. Die anderen Bundesländer folgten dem Beispiel und trafen Verfügungen, die ab dem 27. April 2020 (KW 18) umgesetzt wurden. In KW 19 traten erste Lockerungen des Lockdown in kraft, Kontaktbeschränkungen wurden jedoch bis 5. Juni 2020 verlängert.

Dies führte in den Kommentarspalten von PI-News offensichtlich auch zu einer intensiveren Diskussion über Masken. Variierte das Verhältnis von funktionsbezogenene zu kritischen Maskenbezeichnungen vorher zwischen 10:1 und 24:1, pendelte es sich in den darauffolgenden Wochen auf ein Verhältnis zwischen 6:1 und 2:1 ein.

Doch welche kritischen Maskenbezeichnungen dominierten die Debatte? Waren es eher solche, die den Nutzen der Maske in Zweifel zogen, oder solche, die eine generelle Ablehnung des Regierungshandelns auch jenseits der Pandemiepolitik zum Ausdruck brachten? Um diese Frage zu beantworten, wurden alle Ausdrücke, die die Maske negativ wertend konstruierten, in drei Gruppen eingeteilt:

  1. Maske als Symbol für Angela Merkels Politik: Merkel-Maulkorb, Merkellappen, Merkel-Maske, Merkel-Schutz, Merkel-Spuckschutz, Muttischutz, Merkel-Monatsbinde, Angelahelm, Merkel-Gesichtslappen, Merkeldemütigungsmasken, Stasi-Merkel-Maulkorb
  2. Die Maske als Unterdrückungsinstrument: Maulkorb, Zwangsmaske, Corona-Maulkorb, Schandmaske, Maulkorbmundschutz, Stoffmaulkorb, Stoffknebel, Strafmaske, Volksknebelung, Maulkorb/Beißschutz, Zwangsmaulkorb, Demütigungsmaske, Maulschutz/-korb, Regime-Maullappen, Regimelappen, Maulsperre, Angstschürereimaske
  3. Zweifel an Wirksamkeit / Verballhornung: Spuckschutz, Gesichtslappen, Virenschleuder, Spuckhaube, Rüsseltuch, Maullappen, Spuckschutzhaube, Rotzlappen, Maulfetzen, Gesichtswindel, Maulschutz, Drecksmaske, Atembehinderung, Schnauzenlappen, Spuckmaske, Dreckslappen, Seuchenmaske, Gesichts-Kondom, Coronawaschlappen, Kleine-Helden-Maske, Kampfmaske, Virenbrutstätte, Schlabbertuch, Alibischutz, Virus-Maske, Hirnschutz, Viren-Schreck, Coronamaskendingsbums, Spritzschutz, Maultuch, Siffmaske, Bazillentuch, Heuchlermaske, Atembeschränkung, Viren-Schutzwall, Coronahelm, Hyperventilationsmaske, Sifflappen, Coronalappen, Nasenschutzlappen, Gesichtschlüpfer, Schnuffi/Bevölkerungsschutzmaske/Atemschutzmaske, Atemerschwerungspeinigung, Corona-Rotzen, Ganzkörperspuckhaube, Rotzhaube, Mufflappen

Diese Bezeichnungen wurden nun auf ihr wochenspezifisches Vorkommen vom Januar 2020 bis Juni 2021 hin untersucht. Ab Kalenderwoche 17 vervielfacht sich die Benutzung maskenkritischer Bezeichnungen aller Kategorien, ab Kalenderwoche 19 wird die Deutung der Maske als Unterdrückungsinstrument dominant. Ausdrücke, die die Maske explizit zum Symbol für Angela Merkels Politik stilisieren, werden am seltensten verwendet. Und Bezeichnungen, die den Nutzen der Maske infrage stellen, rangieren mit Abstand auf dem zweiten Platz.

Frequenz unterschiedlicher Typen von Ausdrücken für Masken, die negative Aspekte hervorheben, in den Kommentaren von PI-News je 1 Mio Wörter

Mit etwa drei Wochen Zeitverzögerung im Vergleich zur allgemeinen Diskussion über die Maske setzt damit in rechten Debatten die explizite Politisierung der Maske durch solche Bezeichnungen ein, die die Maske als Unterdrückungsinstrument kennzeichnen. Beim Herauslösen der Maske aus ihrem medizinisch-epidemiologischen Kontext hilft ihre Kennzeichnung als wirkungslos (Gesichtslappen), ja kontraproduktiv (Virenbrutstätte, Hyperventilationsmaske).

Die dominierenden Metaphern bei der Politisierung der Maske sind dabei die des Knebels und des Maulkorbs. Der Knebel lässt sich als Ausdruck eines Narrativs von der Unterdrückung von freier Meinungsäußerung und Opposition deuten. Komplexer ist noch die Metapher des Maulkorbs, weil sie nicht in der Deutung der Maske als Mittel der Einschränkung der Freiheit aufgeht. Vielmehr impliziert die Metapher des Maulkorbs auch, dass diejenigen, die ihn verordnen, sich selbst vor Gefahr schützen wollen. In dieser Lesart schützt sich also die politische Klasse vor ihrer existenziellen Gefährdung durch eine ihre gefährliche Opposition. Als Merkel-Maulkorb wird die Maske darüberhinaus in rechten Kreisen zu einer Chiffre für eine Regierungspolitik, die Kritik und Opposition (vermeintlich) mundtot machen will, und für einen Staat (Regime), der seinen Bürgern dauerhaft Grundrechte entzieht.

Fazit: Die Maske als Vehikel fundamentaler Staats- und Regierungskritik

Die frühe Politisierung der Maske und ihre Stilisierung zu einer Chiffre für autoritäres Regierungshandeln und Staatswillkür sind ein Beleg dafür, dass in rechten Debatten die Kritik an Anti-Corona-Maßnahmen schon früh als Vehikel dafür genutzt wurde, fundamentalkritische Einstellungen gegenüber dem Regierungssystem in der Bundesrepublik Deutschland zu verstärken.

Literatur

Scharloth, Joachim (2022): Between "Mouth-Nose-Protection" and "Muzzle": Mask Wearing in German Public Debate. In: Suzuki, Noriko / Endo, Masahisa / Annaka, Susumu (eds.): Comparing Public Reactions to Wearing Masks in Asia and Europe: Public Behaviour to the State during the COVID-19 Pandemic. Routlegde. (forthcoming, accepted for publication)
Kategorie: Gesellschaft, Linguistik, Publikation; Keywords: Maske, Framing, Corona-Pandemie, Rechtspopulismus, Rechtsextremismus, neue Rechte, Nomination

Hässliche Wörter
Hate Speech als Prinzip der neuen Rechten
von josch am 2022-01-17

"Ihre 'Analysen' zur AfD" steht im Betreff der E-Mail, die ich nach einer Radiosendung über die Sprache der AfD im ARD Hauptstadtstudio erhalte. Aus der Andeutung einer gewissen Distanz zum Inhalt dieser Analysen, die der Autor durch die Anführungszeichen zum Ausdruck bringt, wird im Mailtext eine schmähende Anklage. Meine Forschung sei eine "linke Verunglimpfung" all jener Menschen, die "nicht hündisch vor dem Mainstream kuschen". Der Autor schreibt von "kruden Schlüssen" und "pseudowissenschaftlicher Hetze" und fragt anklagend, was ich mit meinen "höchstintelligenten 'Untersuchungen' und höchstwissenschaftlichem Geschwafel eigentlich den Normalbürgern und Steuerzahlern aus den Taschen und Geldbeuteln" ziehe, sprich, mir "an EUROS aneigne"! Er verabschiedet sich dann noch sarkastisch "Mit sozialistischem Gruß", nicht ohne vorher klarzustellen, dass er mit einer Antwort nicht rechne, da mir dafür wohl "die EIER" fehlten.

Links, käuflich und entmannt, ein Mainstreamler, ein pseudowissenschaftlicher Schwafler, ja ein Hetzer war ich also -- darunter machte es dieser Verteidiger der AfD in seinem Furor der Empörung nicht. Die Sprache, die mir aus der Mail entgegenklang, kannte ich freilich nur zu gut. Als Sprachwissenschaftler an der TU Dresden hatte ich die Anfänge von PEGIDA und Querfront-Montagsdemonstrationen hautnah miterlebt, hatte mit Studierenden die Reden gehört und analysiert, war oft zu Diskussionsveranstaltungen eingeladen, hatte aber auch in Vereinen und Kneipen häufiger mit neuen Rechten diskutiert. Die Verachtung, die aus dieser Sprache spricht, prägt auch den Sound vieler Netzdebatten. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik wurde öffentlich so viel geschmäht, geschimpft, beleidigt und gehetzt wie seit dem Erstarken der neuen Rechten. Und nie war es so einfach, als Chronist an den (digitalen) Stammtischen zu sitzen, dem sprachlichen Kesseltreiben gegen Minderheiten beizuwohnen und Zeuge verbaler Pogrome zu werden.

An diesen Stammtischen habe ich als stiller Zuhörer viel Zeit verbracht. In einer umfangreichen korpuslinguistischen Untersuchung von rund 30 neurechten Online-Plattformen habe ich mehr als 30.000 Schmähwörter gefunden. Von diesen sind rund 3.500 in meinem Buch Hässliche Wörter: Hate Speech als Prinzip der neuen Rechten versammelt, das gerade bei J.B. Metzler erschienen ist.

Entlang der wichtigsten Politikfelder stelle ich darin den Schmähwortschatz der neuen Rechten vor und ordne ihn als Ausdruck neurechter Ideologien ein. So entsteht ein Panoptikum erschreckend-bizarrer und abgründiger Wortbildungen, das die menschenverachtende und demokratiefeindliche Ideologie der neuen Rechten freilegt.

Das Buch zeigt nicht nur das Offensichtliche: Dass nämlich für die neuen Rechten herabwürdigendes und ausgrenzenden Sprechen zentrales Medium der politischen Auseinandersetzung ist. Es zeigt auch, dass in den vielfältigen Formen herabwürdigenden Sprechens ein ganzes Weltbild sichtbar wird, in dem Volksvertreter fremdgesteuerte Volkszertreter sind, im dem vor der Multikulti-KuscheldenNeubürger-Justiz nicht mehr alle Menschen gleich sind, in dem in Shithole-Städten wie Haramburg, Krankfurt oder Islamabad-Godesberg das Chaos herrscht und in dem Zionazi-Eliten sich verschworen haben, die angestammte Schlafschaf-Schlachtvieh-Bevölkerung durch Menschen aus Primitivistan und Subkulturistan zu ersetzen. Ein Weltbild, das den Boden bereitet für jene, die glauben, sich als Verteidiger von Recht und Ordnung, von Volk und Kultur aufspielen zu dürfen. Ein Weltbild, das den Boden bereitet für rechten Terror.

Mehr Informationen über das Buch und Materialien finden sich auf der Webseite:
haessliche-woerter.de

Das Buch kann man bestellen auf Amazon oder genialokal

Literatur

Scharloth, Joachim (2021): Hässliche Wörter. Hatespeech als Prinzip der neuen Rechten. Heidelberg: Metzler.

Kategorie: Publikationen, Linguistik; Keywords: Hassrede, Hate Speech, neue Rechte