Es gehört zu den zahlreichen Selbstwidersprüchen der neuen Rechten, einerseits gegen eine vermeintliche Political Correctness ("politische Korrektheit") zu polemisieren, aber zugleich wie kaum eine andere Diskursgemeinschaft Kritik am öffentlichen Sprachgebrauch zu üben.
Vor der letzten Bundestgaswahl habe ich für ein Radiofeature von Kilian Pfeffer vom SWR den Sprachgebrauch in Pressemitteilungen der Bundesparteien verglichen (PDF). Eine Vergleichskategorie war, wie häufig die Parteien die Sprache selbst, d.h. die Form oder den Inhalt von Ausdrücken, selbst zum Thema machen. Ein recht einfaches zu operationalisierendes Maß hierfür ist, wie häufig die Parteien Ausdrücke in Anführungszeichen setzen, wie häufig sie einen Ausdruck mit einem vorangestellten "so genannt" (und orthographischen Varianten) rahmen. Beides sind Praktiken, mit denen man sich im Medium der Schrift von Inhalt oder Form eines Ausdrucks distanzieren kann. Schon frühere Studien haben gezeigt, dass extremistische Parteien wie die NPD besonders häufig dazu neigen, sich von der herrschenden Semantik zu distanzieren. Im Fall der nun im Bundestag vertretenen Parteien war das Ergebnis eindeutig:
Die AfD distanziert sich häufiger als alle anderen Parteien von den von ihr verwendeten Ausdrücken. Unter 10.000 Wörtern thematisiert sie im Durchschnitt rund 30 Wörter, fünf mehr als die CDU, die auf Platz zwei folgt. Am seltensten thematisieren SPD und Grüne Ausdrücke als problematisch.
Untersucht man, welche Ausdrücke im Vergleich zu anderen Parteien von der AfD besonders häufig in Anführungszeichen gesetzt oder mit einem "sogenannt" geframet werden, dann finden sich Begriffe, die der migrations- und linkskritische und populistische Ausrichtung der Partei zeigen. Zu den häufigsten Wörtern zählen Flüchtling, Energiewende, Antifa, Aktivist, Elite und politisch Korrektheit.
Mit der "politischen Korrektheit" ist es so eine Sache. Wie an anderer Stelle gezeigt, kam sie als politischer Kampfbegriff der Neuen Rechten nach Deutschland. Der Begriff verdichtet ein Strohpuppen-Argument, ein Argument, das ein Anliegen des politischen Gegners so verzerrt, dass es per se als unsinnig oder illegitim erscheint. Demnach werden bestimmte Aussagen nur aufgrund politischer Rücksichtnahme getätigt, andere aus denselben Gründen tabuisiert. Diese Rücksichtnahme führt aber dazu, dass die gemachte Aussage im Hinblick auf den Gegenstand, auf den sie Bezug nimmt, falsch ist; nur in politische Hinsicht ist sie wahr. Wer also die Wahrheit sagen möchte, der ist gezwungen, sich "politisch inkorrekt" auszudrücken, und wird ggf. zum Opfer sozialer Ächtung. Schuld an der vermeintlichen Unsagbarkeit des "sachlich Wahren" sind "Linke", "Kulturmarxisten", "Mainstreammedien", "radikale Minderheiten" etc. Soweit das Strohpuppenargument.
Angesichts der Tatsache, dass die AfD als parlamentarische Rechte am häufigsten den öffentlichen Sprachgebrauch kritisiert, ist es doch erstaunlich, dass sie sich so vehement gegen "politische Korrektheit" ausspricht. Wie jede, die Kritik übt, nimmt freilich auch die AfD für sich in Anspruch, diese Kritik im Namen der Wahrheit zu äußern. Die "Energiewende" ist in ihren Augen eben keine Energiewende sondern ein Schritt zur Deindustrialisierung Deutschlands.
Kürzlich erreichte mich unter dem Betreff "Präsupposionen, Populismus" die Zuschrift eines selbsterklärten AfD-Wählers zu jenem Ausdruck, der von Seiten der AfD am häufigsten thematisiert wird. Das Wort "Flüchtling", kritisiert er, sei Migranten "präsupponierend zugeschrieben" worden. Dies finde er insofern populistisch, als der Ausdruck nicht differenziert genug und geeignet sei, "Emotionen zu wecken sowie mit ihnen verbundene Handlungsdispositionen zu nutzen". Vereinfacht gesagt: Das Wort "Flüchtling" sei im öffentlich Diskurs pauschal für all jene verwendet worden, die im Zuge der Flüchtlingskrise nach Deutschland gekommen seien. Weil das Wort "Flüchtling" aber unterstelle, dass diese Menschen geflohen bzw. auf der Flucht seien, wecke es Mitleid und Anteilnahme und schaffe so Akzeptanz für politische Maßnahmen, beispielsweise für die Aufnahme und Unterstützung der zu uns kommenden Menschen. Entspechend fand der Zusender den Gebrauch des Wortes "Flüchtling" "sehr populistisch". In einem seiner Texte benutzt er "Migrant" als Gegenbegriff. Ich antwortete:
Die Frage, ob "Flüchtling" oder "Migrant" die treffender Bezeichnung gewesen wäre, ist sicher nicht ganz leicht zu beantworten. Und sicher haben Sie Recht, dass "Flüchting" bestimmte Prädikationen präsupponiert.
Betrachtet man allerdings die Verwendungsweise von "Migrant", dann ist es so, dass die Bezeichnung "Migrant" in der überwiegenden Zahl der Fälle in der Mediensprache dann verwendet wird, wenn man die reguläre Arbeitsmigration einschließt oder sich gar vorwiegend auf diese bezieht.
Ich denke, dass die Bezeichung "Migrant/Migrantin" daher nicht zutreffend, sogar irreführend gewesen wäre. Denn es ging ja in der Berichterstattung gerade um solche Menschen, die ohne Visum und Arbeitsgenehmigung nach Deutschland kamen und den Problemen, die sich daraus ergaben.
Ich bin kein Jurist, aber der Mehrzahl der Menschen, auf die sich die Berichterstattung bezog, wurde m.W. ein rechtlicher Status entweder nach Asylrecht (Asylbewerber), der Genfer Flüchtlingskonvention (Flüchtling) oder der Europäischen Menschenrechtskonvention (subsidiärer Schutz) zugeschrieben. Insofern sind die Ausdrücke "Flüchtling" oder "Schutzsuchende", was ja auch häufiger verwendet wurde, durchaus im Hinblick auf die Referenz zutreffend und präziser als "Migrant". Ich sehe darin zunächst mal nichts Populistisches.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Zwar räumte der Zusender ein, "Flüchtling" sei einerseits ein durch rechtliche Urteile zugewiesenes Prädikat. Er wandte jedoch ein, dass die Bezeichnung "Flüchtling" alltagssprachlich eine andere Bedeutung habe und vor diesem Hintergrund die Zuschreibung eines Flüchtlingsstatus durch alltagsweltliche Beobachtungen hinterfragbar sei. Das Wort "Migrant" habe ihm nur als Beispiel für einen Oberbegriff für "Flüchtling" und verwandte Begriffe gedient, man könne stattdessen auch "Sich Bewegende" benutzen.
Was der Zusender (der übrigens freundlich und angenehm sachlich schrieb und das Wort "Linksintellektuelle" gerne in Anführungszeichen setzt) also fordert, ist, dass Medien juristisch adäquate Ausdrücke nicht nutzen sollten, weil diese dem Alltagsverständnis nicht gemäß seien und ihre Präsupposition verhindere, dass migrationskritisch eingestellte Menschen öffentlich das Asylrecht in seiner heutigen Form in Frage stellen könnten.
Dass der Alltagssprachgebrauch vielfältig ist und davon ausgegangen werden kann, dass gerade in umkämpften Diskursfeldern wie Zuwanderung und Asyl hier keine einheitliche Bedeutung für bestimmte Ausdrücke zu finden sind, lässt es meiner Meinung nach zweifelhaft erscheinen, den Sprachgebrauch in den Medien auf den Alltagssprachgebrauch zu verpflichten, ohne sie dem Verdacht auszusetzen, parteiisch zu sein. Darauf soll es hier aber nicht ankommen, sondern auf das Folgende.
Dem Sachverhalt adäquate Ausdrücke nicht verwenden, bloß weil sich eine politische Gruppe vom Diskurs ausgeschlossen fühlt - das ist exakt das, was die Neue Rechte als "politische Korrektheit" brandmarken würde und gerne auf dem "Müllhaufen der Geschichte" entsorgen würde, wie Alice Weidel auf dem Bundesparteitag der AfD 2017 in Köln forderte. Oder doch nicht? Die Forderung nach einem weniger gegenstandsadäquaten, dafür aber (für die neue Rechte) inklusiveren und anschlussfähigeren Sprachgebrauch, findet sich immer häufiger. Schon länger äußern rechte Parteien sich häufiger sprachkritisch als Parteien aus anderen politischen Lagern. Leben wir also in einer Zeit der politischen Korrektheit von Rechts?
Bislang dachten wir, Donald Trump sei der Meister der Beleidigungspolitik. Nun berichtet der Atlantic-Journalist Edward-Isaac Dovere in seinem Buch Battle for the Soul davon, Ex-Präsident Brack Obama habe seinen Nachfolger als "madman", "racist"", "sexist pig" und "lunatic" beschimpft.
Sprachverbote werden in öffentlichen Debatten normalerweise mit der politischen Linken assoziiert. Nun fordert der Hamburger CDU-Chef Ploß, Gendern in staatlichen Stellen zu verbieten. Möchte er, dass wir die CDU für eine linke Partei halten? Die CDU Hamburg unterstützt den im Sprech- und Schreibverbot zum Ausdruck kommenden Linksruck und spricht sich mit einer Initiative für die deutsche Grammatik" aus. In ihrem Beschluss wendet sie sich "gegen jede Diskriminierung und Ausgrenzung von Menschen", klingt gut, aber der Satz geht noch weitert, "gegen jede Diskriminierung und Ausgrenzung von Menschen, die keine gendergerechte Sprache verwenden möchten". Sicher verbietet die CDU demnächst auch die Hassrede, weil sich diejenigen diskriminiert fühlen könnten, die sie nicht verwenden wollen.
Fast & Furious Darsteller und Wrestler John Cena hat in einem Interview gegenüber dem Taiwanesischen Fernsehen auf Mandarin gesagt, Taiwan sei ein Land. Nun hat sich Cena auf der Plattform Weibo in einer Videobotschaft ebenfalls auf Mandarin beim chinesischen Volk entschuldigt. Wir kehren damit zurück zur ursprünglichen Verwendungsweise des Ausdrucks "politcal correctness". Die ersten Belege für den Ausdruck finden sich nämlich in kommunistischen, leninistischen, marxistischen und stalinistischen Gruppen in den USA in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit ihm wurden abschätzig und ironisch Personen bezeichnet, für die die Parteilinie wichtiger war als die mit dem Sozialismus verfolgten Ideale und die Utopie einer besseren Gesellschaft.
Der Berliner Tagesspiegel hat ein lesenwertes Interview mit der Rap-Formation K.I.Z. anlässlich des Erscheinens ihres sechsten Albums Rap über Hass. Darin präsentieren sich die Rapper als so schwer zu fassen wie das Phänomen Hassrede selbst (O-Ton: "Wir sind die AfD"). K.I.Z. sah sich wegen angeblicher Hassrede Angriffen des parlamentarischen Arms der Cancel Culture ausgesetzt. Ein Video von Tarek K.I.Z sollte sogar indiziert werden. Zum Album selbst schreibt Johann Voigt im Fluter "Als Zuhörer*in fragt man sich da: Ist das nun ein Album, das den Hass, der zum Beispiel im Netz immer stärker zu toben scheint, unterwandert oder ihn einfach nur abbildet?" Und kommt zu dem Fazit: "Die Chance auf ein kluges Statement zur Frage, wie „Rap“ und „Hass“ zusammenhängen, haben K.I.Z verpasst."
Hans-Joachim Leyenberg würdigt in der FAZ Erwin Kostedde, Deutschlands ersten schwarzen Nationalspieler, der am 21. Mai 75 Jahre alt wurde. Spolier: In einem ohnehin herabwürdigungsaffinen Kontext hatten gegnerische Fans für Kostedde besondere Liebenswürdigkeiten reserviert.